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„Alles immer geil“

Linus Volkmann gilt als einer der wichtigsten und bissigsten Popjournalisten. Jetzt steht er in Bremen selbst auf der Bühne und verreißt live alles, was im Pop dumm und falsch ist

Interview Benjamin Moldenhauer

taz: Herr Volkmann, Ihre Arbeit ist von einer großen Liebe zur Popkultur getragen, die immer wieder umschlägt in Tiraden gegen das Hassenswerte. „Drei greise Jugendliche mit Bärten und teilweise schütterem Haar hampeln über eine Wiese“, haben Sie über die Sportfreunde Stiller geschrieben, die Band würde „Glückskekse vertonen“. Warum das Dumme und Falsche nicht einfach ignorieren?

Linus Volkmann: Das Dumme und Falsche ignorieren? Wie hippie seid Ihr denn bei der taz Bremen drauf? Spaß beiseite, ich habe lange Zeit als Redakteur eines Musikmagazins gearbeitet – und habe dort feststellen müssen, dass das Abfeiern von Bands in der Popkritik kaum was bedeutet. Alles ist immer geil. Jede Platte von Radiohead schon ein Meisterwerk – noch lange vorm Erscheinen. Mit Affirmation kann man halt nichts falsch machen. Ehrlich wird die Popkritik erst, wenn sie aus der Deckung kommt und auch mal sagt, was ungeil ist.

Was ist denn mit Radiohead?

Radiohead stehen für mich sinnbildlich für diesen kanonisierten Geniegedanken in der Popkritik. Sie sind so sa­krosant, jeder weiße, männliche Musiknerd sieht sich aufgewertet, wenn er Bezug auf die Band nimmt. Bei Radiohead gilt Pop auch nicht mehr als minderwertige Kunst, sondern ist richtig angekommen. Mir fehlt das Herausfordern, das Hedonistische, das Schnelllebige, das Pop für mich ausmacht. Das ist so unglaublich bräsig, da steche ich dann wirklich gern mal mit der Nadel rein.

Warum werden heute so wenig Verrisse geschrieben? Zu verlieren haben Musikjournalisten ja nicht mehr viel.

Ich glaube, gerade weil die Rolle des Musikjournalisten zu Zeiten von für alle verfügbaren Hörproben im Netz so den Bach runtergegangen ist, gerade deshalb will er keinen Ärger. Seine Position ist nur noch die eines Dienstleisters, er ist Außenbordmotor der Promo-Kampagne. Dabei muss man sich nur mal selbst fragen, was man lieber liest, ein lauwarmes Abfeiern oder eine echte Opposition?

Bekommen Sie Reaktionen auf Verrisse?

Also wenn ich wirklich HipHop-Journalist wäre, hätte ich vermutlich mehr Ärger am Hals. Da wird so was noch unmittelbarer ausgetragen. Aber im Punk, Indie und Pop, wo ich mich hauptsächlich bewege, sind die meisten ja bestürzend harmlos. Da wird sich zwar oft nichts gegönnt untereinander, aber vorne raus geben sich alle sportlich. Auch wenn ich natürlich schon gefrontet wurde. Denyo von den Beginnern rief mich mal an und verlangte, ich solle nicht mehr über Konzerte von ihm schreiben, wenn ich nichts Gutes zu sagen hätte. Ich kann dabei alle verstehen, die sauer sind. Das gehört dazu.

Linus Volkmann, 45, ist Buchautor und Popjournalist für Vice, Titanic, Spiegel und war Redakteur beim Magazin Intro.

In unserer Dorfdisco lief früher immer Rage Against the Machine, und bei „Fuck you, I won’ t do what you tell me“ sind wir alle im Gleichtakt auf- und abgesprungen. Das Bild hat sich mir sehr eingebrannt …

Der Grat zwischen aufwühlendem Erweckungserlebnis und selbstgefälligem Bierzeltgehubere ist im Pop sehr ­schmal. Vielleicht wird Pop auch irgendwann komplett übertreten, und man kann gar nicht mehr wirklich zurück zur guten Seite. Höchstens noch in nostalgischer Verklärung – was dann ja wirklich schrecklich wäre. Da ist Pop sicher auch angreifbar, weil er Befreiung simuliert, aber nur Funktionieren und Einverstandensein schafft. Aber man geht ja nicht mit Adorno-Büchern unterm Arm in den Klub, sondern mit mitgebrachtem Schnaps in der Jackentasche. Insofern bin ich gegenüber Pop eigentlich sehr milde gestimmt. Im besten Fall kann er wirklich Aussagen über die Welt treffen, im normalen Fall einen zumindest von der Welt lösen.

Pop ist das Klügste und gleichzeitig das Dümmste, was wir haben“, sagt Georg Seeßlen. Was sollte verschwinden aus der Popkultur?

Aber, aber! Wenn alle furchtbare Musik von Frida Gold bis zu Sportfreunde Stiller auf einmal weg wäre und die Gurken von Revolverheld nicht schon wieder Comeback feiern würden, dann hätte man doch gar nichts mehr zu streiten und zu lästern an der Theke. Und statt meine Shows aufzuführen, müsste ich für Foodora radfahren. Meine Überzeugung ist: Die richtig geile Popkultur braucht immer auch die unsäglich beschissene. Als Korrektiv, als das, wovon man sich abgrenzen möchte.

Lesung: Do, 3. 5., 20 Uhr, Kito

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