: Die Volksbühne muss warten
Nach der Kapitulation Chris Dercons ist alles offen. Es wird dauern,bis ein Nachfolger gefunden ist
Von Susanne Messmer
Irgendwann schafft Kultursenator Klaus Lederer (Linke) so viele Wörter pro Minute, dass es selbst für ihn rekordverdächtig ist. Im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses geht es am Montagnachmittag um den Abgang des verhassten Volksbühnen-Chefs Chris Dercon – und um die Zukunft des Hauses. Die Opposition hat nicht nur Regierungschef Michael Müller und dem früheren Kulturstaatssekretär Tim Renner (beide SPD) die Schuld am Debakel gegeben, sondern auch Lederer. „Von Seiten der Exekutive ist alles getan worden, dass das Konzept Dercon scheiterte“, sagte der CDU-Abgeordnete Robbin Juhnke.
Natürlich: Es war nicht gerade geschickt, wie sich Lederer zu Beginn seiner Amtszeit verhalten hat. Kaum im Amt, verkündete er Ende 2016, er müsse die Personalie Dercon „noch einmal überdenken“. Doch danach ruderte er zurück. Er stellte sich vor Dercon, als es in der Stadtgesellschaft auch nach dessen Antritt im Sommer 2017 nicht gerade sachlicher wurde. Und er verhandelte ganze Nächte mit den Leuten, die im September 2017 die Volksbühne besetzt hatten, auch wenn sich Dercon und Lederer Anfang des Jahres „darauf geeinigt hatten, dass man sich nicht einig ist“, so Lederer. Nie hat Lederer aus seiner Skepsis einen Hehl gemacht, dass man das Ensemble- und Repertoirehaus am Rosa-Luxemburg-Platz in ein Mehrspartenhaus für Produktionen aus aller Welt verwandeln sollte, wie Dercon es vorschwebte.
Es muss von vorn diskutiert werden
Die Quintessenz ist: Man hat viel gelernt aus der einsamen Entscheidung der Berliner Kulturpolitik vor drei Jahren, einem der originellsten, widerspenstigsten, nervigsten, schrulligsten Theater des Landes einen Museumsdirektor überzustülpen, der sich wenig für die Tradition dieses Hauses interessiert. Man ist sich einig: Diesmal muss alles anders laufen. „Wir werden uns die Zeit nehmen, die wir brauchen“, so Lederer. Soll heißen: Es muss von vorn diskutiert werden. Was ist die Volksbühne überhaupt für ein Haus? Welchen Platz hat sie in der Theaterwelt, in der Stadt, im Land? Und: Welche Verfahren kann die Kulturpolitik entwickeln, wie offen kann sie werden, ohne dass so eine Personalie auf dem Marktplatz verhandelt wird?
Summa summarum wird sich die Volksbühne auf eine längere Hängepartie einstellen müssen. Klaus Dörr, der eben ernannte Interimschef aus Stuttgart, wird laut Lederer zunächst vollauf damit beschäftigt sein, das Theater überhaupt wieder arbeitsfähig zu machen. Schon im November habe es Anzeichen gegeben, dass Dercons Konzept auch finanziell nicht aufgehe. Im März sei klar geworden, dass Dercon „keinerlei Ansatz“ entwickelt hatte, „wo es hingehen sollte“, so Lederer. Die Bühne stehe zwar nicht vor dem finanziellen Ruin, er schließe aber nicht aus, dass zusätzliche öffentliche Mittel nötig werden könnten, um sie in ruhige Gewässer zu lenken.
Dercon hatte mit teuren Gastspielen und zusätzlichen Vorstellungen auf dem Tempelhofer Feld viel Geld ausgegeben. An vielen Tagen gab es gar keine Vorstellungen im Haus. In einem Interview mit der Süddeutschen am Montag kündete Dörr an, dass es nun wieder darum gehen muss, ein Repertoire aufzubauen.
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