: Verbrechen lohnt sich doch
Der Berliner Verbrecher-Verlag lädt nun auch in der Schwankhalle regelmäßig zum Lesen und Streiten ein
Von Radek Krolczyk
Bremen hat seit diesem Jahr endlich seine eigene Verbrecherversammlung. Alle zwei Monate soll sie in der Schwankhalle stattfinden. Das ist ein Grund zur Freude: denn bisher schaute man voller Neid nach Berlin, wo die Veranstaltungsreihe des Verbrecher-Verlags bereits seit rund 20 Jahren erfolgreich läuft. Verleger Jörg Sundermeiers Idee zu einer guten Verbrecherversammlung geht so: „Im langweiligsten Fall bleibt es bei einer Wasserglaslesung, im besten Fall bleibt man und streitet sich noch lange.“
Als der ehemalige Bankräuber Ludwig Lugmeier seinen Band über den malenden Vagabunden Käpt’n Bilbo vorstellte, wurde überhaupt nicht gelesen, erzählt Sundermeier. Stattdessen diskutierte der Autor mit dem Maler Daniel Richter Käpt’n Bilbos Malerei. „Was für alle sehr spannend war und viel Neues aufbrachte“, so Sundermeier. Denn der berühmte Hamburger Maler erwies sich nicht nur als großer Fan, sondern auch als Kenner des malenden Berliner Outsiders.
Eine frühe Form der Verbrecherversammlung fand in Bremen bereits ab 2004 statt: in einem kleinen selbst organisierten Laden im Ostertor, dem Zakk. Eine Gruppe mit dem Namen Syntox, aus der später der Buchladen Golden Shop hervorging, veranstaltete in der kohlebeheizten Bar Lesungen. Neben Sundermeier und dem inzwischen verstorbenen Popkritiker Martin Büsser trat dort auch der ehemalige Nazijäger und Schauspieler Dietrich Kuhlbrodt auf. Dieser las aus seiner Autobiografie, hatte aber auch seltenes Filmmaterial dabei, darunter ein Fernsehinterview aus den frühen 60er-Jahren, das er als Staatsanwalt in der Zentralen Verfolgungsstelle für Naziverbechen in Ludwigsburg gegeben hatte.
Den Verbrecher-Verlag gibt es seit 1995, er ist so eine Institution, die stets einen riesigen Kosmos mit sich herumschleppt. Dazu gehören Autoren, Musiker und Künstler, aber auch Zeitschriften, Musiklabels und andere Verlage. Zusammengehalten wird all dies durch eine ästhetisch-politische Haltung – was so viel größer ist, als es ein schnödes Parteibuch ist. Das bildet sich bei den Versammlungen, natürlich aber auch im Verlagsprogramm ab.
Besonders waren von Anbeginn die Anthologien, in denen Autorinnen und Autoren aufeinandertrafen, die wenig miteinander zu tun hatten. Es waren Bände wie „Das Buch vom Trinken“ und „Das Buch vom Klauen“ oder die Stadtbücher. In Letzteren wurden auf eine sehr anti-lokalpatriotische Art Städte wie Bielefeld, Bremen, Köln oder Hamburg portraitiert.
Viel wichtiger ist jedoch die Wiederentdeckung wichtiger Literaten: Von Giesela Elsner erscheint eine aufwendige Werkausgabe, Peter O. Chotjewitz fand hier einen Rahmen für sein Spätwerk und in schönen, schwarzen Bänden werden die Tagebücher des Anarchisten Erich Mühsam veröffentlicht. Heute bekannte Autorinnen und Autoren wie Nino Haratischwili und Dietmar Dath haben sehr früh bei Verbrecher publiziert.
Im Februar fand die erste Versammlung in der Schwankhalle statt: Maxi Obexers las aus ihrem innereuropäischen Migrationsroman „Europas letzter Sommer“, Sundermeier moderierte, das Publikum fragte kritisch nach. Am Donnerstag nun wird die 1989 geborene, in Leipzig lebende Autorin Bettina Wilpert ihren Roman „nichts, was uns passiert“ vorstellen, Kristine Listau, Mitinhaberin des Verlags wird moderieren. Wilperts Buch handelt von einer Vergewaltigung in der linken Szene in Leipzig. „Der Roman thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat“, heißt es in der Ankündigung des Verlags, „und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.“
Verbrecherversammlung mit Bettina Wilpert: Do, 19. 4., 19.30 Uhr, Schwankhalle
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen