die woche in berlin
: die woche in berlin

Nach einem Jahr Amtszeit nimmt der umstritteneVolksbühne-Chef Chris Dercon seinen Hut. Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister in Mitte, will ein Sperrgebiet für den Straßenstrich einrichten. Die Polizei bekommt eine Präsidentin. Und Berlin erinnert an das Attentat auf Rudi Dutschke, allen voran die Grünen

Im Osten geht die Sonne auf

Volksbühne-Chef Chris Dercon tritt ab

Es gibt diese stets vom Publikum beklatschte Szene in Frank Castorfs letzter großer Volksbühne-Inszenierung „Faust“, in der ein mit belgischem Akzent sprechender Mann ein Glas Bier über den Kopf geschüttet bekommt. Der Begossene steht ziemlich eindeutig für Chris Dercon, umstrittener Nachfolger Castorfs als Intendant; der Vorfall soll sich wirklich zugetragen haben. Dercon bekam in dieser seiner ersten Spielzeit auch von vielen anderen ordentlich eingeschenkt. Am Ende war es ihm zu viel: Am Freitag gab Kultursenator Klaus Lederer (Linke) die „einvernehmliche“ Einigung bekannt, die „Intendanz von Chris Dercon mit sofortiger Wirkung zu beenden“.

Dass es darauf hinauslaufen musste, war schon länger klar. Blieb nur die Frage des Zeitpunkts. Für Berlin als Stadt an sich ist der kaum kaschierte Rauswurf dennoch eine schwierige Entscheidung, schließlich war es auch ein Rausekeln.

Natürlich hat Dercon viele Fehler gemacht – das ist angesichts seiner Aufgabe, aus einem renommierten Theatertanker eine undefinierte Art Festspielhaus zu machen, auch nicht verwunderlich. Zudem hat er von jenen, die ihn, den Theaterneuling, 2015 geholt hatten – vom damaligen Auch-Kultursenator Michael Müller und seinem Staatssekretär Tim Renner –, nicht die Unterstützung bekommen, die er für eine erfolgreiche Arbeit an der Volksbühne gebraucht hätte.

Aber die Ablehnung Dercons durch viele langjährige Volksbühne-Besucher und auch -Mitarbeiter und durch ein kleines, verschroben wirkenden Ostberliner Biotop hatte zu oft starsinnige Züge, völlig befreit von kultureller Offenheit und der Notwendigkeit von Veränderungen nach 25 Jahren unter einem – über viele Jahre auch nicht ­gerade erfolgreichen und bejubelten – Intendanten.

Die Volksbühne wird jetzt vielleicht als Beispiel dafür gelten, dass von oben oder vom System oder von provinzieller Politik initiierte Veränderungen durch Hartnäckigkeit, gemeinsames Handeln und fortwährende Nadelstiche aufzuhalten sind. Stichwort Gentrifizierung. Wenn dabei das Ziel das Wichtigste ist, kann man von einem Erfolg sprechen. Geht es um den Weg, um den Diskurs, muss die Berliner Kulturszene noch lernen, was unter Respekt zu verstehen ist.

Retten muss das jetzt der Kultursenator. Lederer hat die große Chance, die am Boden liegende Volksbühne wieder flottzumachen und zu zeigen, dass er und die Stadt aus dem Dercon-Debakel gelernt haben – in jeder Hinsicht.

Anfang Mai läuft Castorfs „Faust“ noch mal beim Theatertreffens. Mal sehen, ob die Schauspieler die Bierglasszene noch spielen und wie die Reaktionen dann sind. Bert Schulz

kultur

Vom Tiger zum Bettvorleger

Straßenprostitution: Mehrheit für Sperrgebiet

Kopulierende Paare im Hinterhof, Fäkalien und Präservative vor der Haustür und auf Spielplätzen: Seit vielen Jahren beklagen Anwohner in Tiergarten Süd solche Verhältnisse. Die Situation spitzt sich zu, seit es im Zuge des Baubooms kaum noch Brachen gibt, auf die sich Sexarbeiterinnen mit Freiern zurückziehen können. Nun haben sich 60 Prozent der Befragten im Kiez für die Einführung eines Sperrgebiets für Straßenprostitution ausgesprochen.

Der grüne Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, hat das Ergebnis der von ihm in Auftrag gegebenen Umfrage am Montag auf einer Bürgerversammlung präsentiert. Vorangegangen war, dass sich von Dassel im Sommer 2017 zum Entsetzen seiner grünen Parteifreunde für die Einführung eines Sperrgebiets ausgesprochen hatte. Damit handelte er sich den Vorwurf des Populismus ein. Auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte und das rot-rot-grüne Regierungslager gingen auf Distanz. Eine Verdrängung des Problems sei keine Lösung, ist man sich einig.

Sollte von Dassel darauf spekuliert haben, mit dem Votum der Anwohner Rückendeckung für seine Forderung zu bekommen, ist die Rechnung aufgegangen. Das Dilemma ist nur: Er hat mit der Umfrage Erwartungen geweckt, die er nicht einlösen kann. Denn ein Sperrgebiet könnte nur der Senat anordnen. Und der denkt nicht daran. „Restriktive Maßnahmen sind mit der Landespolitik nicht zu machen“, konstatierte von Dassel denn auch am Montag.

Als Alternative – „als Signal für den Anfang im Kampf gegen die Probleme“ – kündigt er an: Dixi-Klos sollen aufgestellt werden und vielleicht auch sogenannte Verrichtungsboxen für den Sexvollzug. Und das Ordnungsamt soll seine Dienstzeiten ausdehnen und auch nach 22 Uhr arbeiten.

Das alles wirkte so, als sei da einer als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Das Bemerkenswerte: Die Bürgerversammlung endete nicht im Tumult, von Dassel wurde auch nicht ausgelacht. Vielleicht lag es daran, dass spürbar war: Der sagt nicht nur, er will sich kümmern – er macht es auch.

Plutonia Plarre

Lasst sie ihren Job machen

Erste Frau an der Polizeispitze

In den Führungs­jobs kommt auf 19 Männer eine Frau

Eine Frau führt jetzt also Berlins Polizei. Na und?, ließe sich fragen. Ist das wirklich das große gesellschaftspolitische Signal, von dem Innensenator Andreas Geisel gesprochen hat, als er Barbara Slowik am Dienstag mit einer Pressekonferenz vorstellte?

Zugegeben, die hiesige Polizei ist eine große 23.000-Menschen-Truppe. Aber für heute 13-jährige Mädchen ist es normal, dass eine Frau ein 82-Millionen-Einwohner-Land führt – seit deren Geburtsjahr 2005 regiert im Kanzleramt Angela Merkel. Und wenn diese Mädchen gelegentlich in die Zeitung oder besser auf deren Homepages im Internet etc. schauen, sehen sie da oft Bilder einer Frau als Boss einer Riesenfirma, die sie alle aus ihrem Alltag kennen, techniklastig, wuchtig: ­Sigrid ­Nikutta ist seit vielen Jahren Chefin der BVG, des größten deutschen kommunalen Verkehrsunternehmens. Genauso wie an der Spitze der Senatsverwaltung für Wirtschaft – also der Domäne der Erhards, Schillers, Lambsdorffs, Clements – zuletzt drei Frauen standen.

Außerdem hat ja schon mal eine Frau Berlins Polizei geleitet, Vizepräsidentin Margarete Koppers vertretungsweise 2011 und 2012.

Und doch bleibt es etwas Besonderes wie alles, was es bislang noch nicht gab. Denn Koppers sprang bloß entsprechend der chain of command ein, als sich nicht rechtzeitig ein Nachfolger für den damals ausscheidenden Polizeipräsidenten Dieter Glietsch fand. Es war ja gerade das Besondere, dass Koppers trotz ihrer anerkannt guten Performance an der Behördenspitze nicht zur dauerhaften Glietsch-Nachfolgerin wurde.

Die Fallhöhe für Slowik ist daher groß. Die Behörde ist männlich dominiert, vor allem in den Führungsjobs, wo auf 19 Männer eine Frau kommt. Ein gewisser Machismo ist nicht wirklich zu bestreiten. Diese Männer haben nicht alle unbedingt und durchweg darauf gewartet, dass sie endlich eine Frau als Vorgesetzte bekommen. Umso mehr, weil Slowik keine Polizistin ist und nicht das hat, was so gern mit „Stallgeruch“ beschrieben wird. Scheitert sie, egal woran, werden es viele so sehen, dass nicht die bisherige Ministeriumsmitarbeiterin, IT-Expertin, geborene Zehlendorferin gescheitert ist – sondern „die Frau“.

Man(n) sollte Slowik einfach ihren Job machen lassen, ohne das mit großen Signalen oder Botschaften aufzuladen und ihre Aufgabe dadurch noch schwerer zu machen – entweder ist sie die richtige Person für den Job oder nicht. Stefan Alberti

Die Grünen und Rudi Dutschke

Politprominenz beim Erinnern an das Attentat

Zwischen beiden Ereignissen lag nur ein Tag Abstand. Am Donnerstag feierte Joschka Fischer Geburtstag. Das grüne Urgestein, das vom Sponti zum Außenminister mutierte, wurde 70. „Was man von Joschka vor allem lernen kann, ist kämpfen“, glückwünschten die neuen Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Einen Tag zuvor war am Kurfürstendamm ein Transparent ausgerollt worden. „Der Kampf geht weiter.“ Gemeint war nicht der von Joschka Fischer, sondern einem anderen grünen Urgestein. Vor genau 50 Jahren, am 11. April 1968, war auf Rudi Dutschke ein Attentat verübt worden, dessen Folgen der Studentenführer elf Jahre später erlag. Zur Gedenkkundgebung war viel grüne Prominenz gekommen.

Mehrmals ist bei der Kundgebung augenzwinkernd die Frage aufgeworfen worden: „Was hätte eigentlich Rudi dazu gesagt?“ Eine gute Frage, die vor allem dazu dient, einen Traditionszusammenhang herzustellen.

Die Partei Die Linke hat einen, aber der ist neben der Frage der sozialen Gerechtigkeit eben auch mit dem realsozialistischen Teil der Arbeiterbewegung und ihren stalinistischen Verbrechen verbunden.

Die Grünen dagegen beziehen sich auf die Studentenbewegung, wollen gleichzeitig aber nichts mit der RAF zu tun haben. Auch deshalb beziehen sie sich auf Dutschke und seinen „Marsch durch die Institutionen“.

Dennoch blieb da noch eine gewaltige Lücke, als der Schriftsteller Michael Schneider an Dutschkes Antikapitalismus erinnerte. Neben ihm stand Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die nichts sehnlicher wünscht, als dass Berlin im kapitalistischen Wettbewerb der Städte etwas mehr Erfolg hätte.

Was hätte Rudi wohl gesagt? Wer dagegen fragte, was Dutschke wohl gesagt hätte, brauchte nicht um eine Antwort bange sein. „Die Geschichte der 68er sollte fester Bestandteil des Unterrichts in allen Schulen sein“, forderte Gretchen Dutschke-Klotz. Am Abend stellte sie dann in der Volksbühne ihr Buch „1968: Worauf wir stolz sein dürfen“ vor. Das war dann noch vor dem Geburtstag von Joschka Fischer. Uwe Rada

Für Berlin als Stadt an sich ist der kaum kaschierte Rauswurf dennoch eine schwierige Entscheidung, schließlich war es auch ein Rausekeln

Bert Schulz über den Rücktritt von Chris Dercon