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Queerbabylonischer Abend

Ein Gastspiel des dänischen Livingstones Kabinet im Delphi in Weißensee widmet sich dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld: „The Einstein of Sex“

Von Jan Feddersen

Im Mai vor 150 Jahren wurde in Kolberg, heute Polen, Ma­gnus Hirschfeld geboren, Mediziner und zeitweilig Fellow von Sigmund Freud – eine Berühmtheit zu seiner Zeit. Er war nämlich von der Idee besessen, dass die Verfolgung Homosexueller, überhaupt aller nichtheterosexuellen Menschen ein Übel sei, sie alle verdienten Beachtung, nicht Unwertschätzung. Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, angesiedelt dort, wo heute das Haus der Kulturen der Welt steht, war außerdem das intellektuelle Zentrum all jener, die man heute als Queers bezeichnet, literarisch bezeugt etwa durch den US-Schriftsteller Christopher Isherwood in „Goodbye to Berlin“.

Das alles muss man wissen für den schönen Abend, den die dänische Theatergruppe Livingstones Kabinet mit der in Kopenhagen beheimateten queeren Vokalgruppe Schwanzen Sänger Knaben uns, dem Publikum, bereitet hat: „The Einstein of Sex“ ist eine Revue über das Leben und die Politiken Hirschfelds, der schon vor der NS-Machtübernahme zunächst auf Reisen in aller Welt, dann faktisch im Exil war – denn im Deutschland der Braunen war kein Platz für einen wie ihn, kein Raum für Queers.

Es waren feine anderthalb Stunden, die das Stück dauerte. Und das in einem Saal, der auch für die Dreharbeiten zu „Babylon Berlin“ benutzt wurde – er ist herrlich hoch, von außen wunderbar abgerockt, und er lässt Gefühle von schönster Verbrauchtheit zu: Weimar feelings reloaded!

Innen im ehemaligen Stummfilmkino Delphi sitzt man an Tischen – und die Fantasie schweift, gleich komme Liza Minnelli als Sally Bowles, nur dass kein angegeilter SA-Mensch in dieser Höhle herumlungert. Nein, es sind Angehörige der dänischen Botschaft und Freund*innen, die sich mit dem Thema Hirschfeld und seiner Rolle bis 1933 auskennen.

Vor diesen entfalten also Pete Livingston, Nina Kareis (die den Hirschfeld auf das Natürlichste gibt) sowie Ole Håndsbæk Christensen, Brian Grønbæk, Bent Jacobsen, Amia Miang und Molly Kareis Livingstone ihre historisch wirklich sehr schön erarbeitete Revue. Von „Zwischenstufen“ (also Identitäts- und Seinsangeboten) ist die Rede, von Trans* und Homo und Hetero. Und dass alle Schau­spie­le­r*in­nen in ihrem Englisch sehr oft diesen süßen dänischen Akzent durchscheinen lassen, trägt nicht gering zum Charme des Abends bei.

Das Mobiliar auf der Bühne ist von bürgerlicher Zweckmäßigkeit, es sieht aus wie auf Bildern aus den zwanziger Jahren. Die Schauspielerinnen tragen meist bürgerliches Outfit, nur wenn einige von ihnen eine Mamsell, eine Köchin oder eine Trans*person (von Mann zu Frau) verkörpern, tragen sie Küchenschürzen – und man fragt sich: Textile Geschlechtsmarker wie Küchenschürzen (mit Rüschen an den Rändern), kann die denn noch jemand entziffern als nötige Accessoires früherer ­Zeiten?

Vom dramaturgischen Pro­blem mal abgesehen, das ja darin besteht, eigentlich keine echte Theatergeschichte zu erzählen: Man bekommt eine geschauspielerte Reise in die Vergangenheit, als läse man ein Buch. Der Hinweis, man biete ein dokumentarisches Musiktheaterstück, langt als Grund ja am Ende doch.

Einerlei: Die Freude am Spiel überwiegt alles Rätseln darüber, wer dies alles noch einordnen kann; ist da jemand jünger als 50? Der Besuch dieses schönen Beitrags zum Hirschfeld-Geburtstagserinnerungsjahr lohnt ihretwegen sehr. Was können sie dafür, dass in Deutschland zum 150. Geburtstag der wichtigsten Person der queeren Bewegung bis zur Nazizeit aus der real existierenden Queerbewegung nur Nabelschau zählt, aber kein Wille zur Übernahme historisch begründeter Erbschaft?

Resümee: Ein freudvoller Abend.

The Einstein of Sex: Theater im Delphi, Gustav-Adolf-Str. 2, Samstag, 20 Uhr

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