piwik no script img

„Missachtung für Roma“

Linken-MdB Ulla Jelpke kritisiert Bund wegen Entschädigungspolitik für NS-Opfer

Bisher haben nur 3.500 Sinti und Roma einen Antrag auf Entschädigung gestellt

Von Christian Jakob

Die Entschädigung für nicht-jüdische NS-Opfer verläuft weiter schleppend. Kurz vor dem Internationalen Tag der Roma am 8. April hat die Bundesregierung dazu neue Zahlen genannt.

Vor allem Sinti und Roma, die keine deutsche Staats- oder „Volkszugehörigkeit“ haben, beziehungsweise hatten, erhalten deutlich niedrigere Zahlungen als andere Opfergruppen. Für sie kommt nur der sogenannte „Wiedergutmachungsdispositionsfonds“ (WDF) in Betracht. Er sieht Einmalzahlungen in Höhe von 2.556 Euro vor. Deutsche Sinti und Roma können zudem laufende monatliche Zahlungen erhalten, deren Höhe nicht einheitlich fixiert ist.

Laut der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion haben seit 2010 insgesamt 756 nicht-jüdische Verfolgte mit deutscher Staatsangehörigkeit Entschädigung beantragt. 139 von ihnen bekamen „Einmalzahlungen“, 422 laufende „Beihilfen“. 164 der Anträge wurden abgelehnt. Im gleichen Zeitraum stellten 338 nicht-jüdische Verfolgte ohne deutsche Staatsangehörigkeit einen Antrag. Keiner von ihnen bekam monatliche Leistungen. 257 erhielten „Einmalbeihilfen“, 26 Anträge wurden abgelehnt. Seit Einrichtung des WDF 1981 haben damit insgesamt etwa 3.500 Sinti und Roma einen Antrag gestellt. Während alle deutsche Entschädigungsleistungen sich zusammengenommen auf 75,6 Milliarden Euro belaufen, bekamen nicht-jüdische Verfolgte bis 2017 insgesamt 62,4 Millionen Euro.

Nicht-jüdische Verfolgte werden nicht schon deshalb entschädigt, weil sie von den Nazis in ein KZ oder Arbeitslager gesperrt wurden. Die Entschädigungsregelungen sehen zusätzlich sogenannte „Mindesthaftdauern“ vor. Diese lagen für KZ-Häftlinge ursprünglich bei 9 Monaten, 2012 wurde nach Protesten die Frist auf drei Monate abgesenkt. Gleiches gilt heute für Arbeitslager.

Dadurch kommen mehr Menschen für Entschädigungszahlungen in Frage. Gerade im osteuropäischen Ausland haben sich diese Erleichterungen aber nicht herumgesprochen. Die Bundesregierung hatte Betroffene, deren Antrag auf Entschädigung wegen zu kurzer Haft abgelehnt wurde, nicht auf die neuen Fristen aufmerksam gemacht. „Eine erneute Aufnahme der Fälle von Amts wegen ist nicht erfolgt und auch nicht beabsichtigt“, heißt es in der Antwort des Finanzministeriums.

„Es gibt keine sachliche Berechtigung dafür, Sinti und Roma in der Entschädigungspolitik schlechter zu stellen als andere Opfer. Aber genau das geschieht, und die Bundesregierung redet es schön“, sagte Ulla Jelpke (Linkspartei). „Nach der Verfolgung durch die Nazis müssen sich die Überlebenden gefallen lassen, auch von der Bundesrepublik diskriminiert zu werden.“ Dass die Überlebenden nicht informiert und alte Anträge nicht von Amts wegen neu aufgerollt werden, nachdem die Anforderungen abgesenkt wurden, zeuge „von tiefer Missachtung der Opfergruppe“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen