: „Neid wird von Rechten instru-mentalisiert“
Karim Fereidooni über weiße Redaktionen, Sozialneid und die Verantwortung der Politik
Karim Fereidooni ist Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhruniversität Bochum. Er forscht zu Critical Whiteness, Diversity, und politischer Bildung.
Herr Fereidooni, ist Neid die Hauptursache für Rassismus?
Karim Fereidooni: Das glaube ich nicht. Die Hauptursache für Rassismus ist der Glaube daran, dass die eigene Gruppe mehr wert ist, intelligenter, tugendhafter, schöner, als die anderen Gruppen. Deren faktische oder zugeschriebene Herkunft wird abgewertet. Dennoch spielt Neid im Rassismus eine Rolle: Er kann sexualisiert aufgeladen sein. Etwa dann, wenn die körperliche Beschaffenheit schwarzer Männer überhöht und ihre Potenz als Gefahr für die weiße Männlichkeit dargestellt wird.
In der Diskussion um die Essener Tafel, die Nahrungsmittel nur noch an Menschen mit deutschem Pass ausgeben will, scheinen Neid und Rassismus durchaus zusammenzuhängen…
…das stimmt natürlich. Die AfD versucht ganz bewusst, Sozialneid für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Sie gaukelt Menschen vor, dass Geflüchtete ihnen alles wegnehmen. Schuld an der Misere der deutschen Bevölkerung, die in Armut lebt, seien demnach nicht eine ungerechte Steuerpolitik oder die Einführung von Hartz IV, sondern Geflüchtete.
Sehen Sie also die Politik in der Verantwortung?
In dem konkreten Fall, ja. Es muss dafür gesorgt werden, dass Hartz-IV-Empfänger*innen eben nicht zu den Tafeln gehen müssen. Neid kann instrumentalisiert werden, wenn der Staat seiner Aufgabe nicht gerecht wird.
Tragen die Medien eine Mitschuld?
Medien sollen gesellschaftliche Missstände aufdecken. Das wird dadurch erschwert, dass Redaktionen hauptsächlich weiße Menschen einstellen. Schauen Sie sich doch mal um. Der Anteil von Menschen of Color in Redaktionen ist ziemlich gering. Damit sind auch ihre Perspektiven auf die Gesellschaft unterrepräsentiert. Medien sollten etwas an ihrer Einstellungspolitik ändern. Aber allein die Medien zum Sündenbock zu machen wäre auch falsch.
Gibt es auch Neid auf den sozialen Status auch unter Migrant*innen?
Rassismus ist ein globales Phänomen und auch Personen mit sogenanntem „Migrationshintergrund“ besitzen rassismusrelevantes Wissen. Und nicht nur weiß-deutsche Personen, alle wenden dieses Wissen in ihrem Alltag an. Aber im Gegensatz zu weiß-deutschen Personen besitzen Deutsche of Color nicht die gesellschaftliche Macht, um ihre Rassismen auf wichtige gesellschaftliche Teilbereiche wie Arbeits-, Bildungs- und Wohnungsmarkt zu übertragen.
In Ihrer Dissertation haben Sie angehende Lehrer*innen of Color befragt und herausgefunden, dass vor allem ihre Vorgesetzten rassistisch waren. Wird ihr Erfolg missgünstig beäugt?
Solange kopftuchtragende Frauen Schulen putzten, waren sie kein Problem. Schwierig wurde es erst, als sie begannen mit einem Kopftuch unterrichten zu wollen. Sobald also „anders“ und „fremd“ gedachte Menschen ihren Platz am Rande der Gesellschaft verlassen und ein sozialer Aufstieg stattfindet, entstehen Konflikte. Wenn also die AfD sagt „Wir wollen unser altes Deutschland wieder haben“, dann wird eine Zeit glorifiziert, in der Migrant*innen nur in schlecht bezahlten Jobs schuften sollten, Frauen nur mit der Erlaubnis von ihren Ehemännern arbeiten konnten und Homosexuelle heftigen Diskriminierungen ausgesetzt waren. Ihre jetzige Sichtbarkeit auf allen Ebenen wird von den Neuen Rechten als Angriff auf ihre Etabliertenvorrechte bewertet.
Esra Ayari, Till Uebelacker und Franziska Schindler
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