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Die Wege des HipHop sind unergründlich

Der Rapper Nissim Black sucht nicht mehr in seiner afroamerikanischen Vergangenheit nach Identität. Er trat zum orthodoxen Judentum über

Von Daniel Zylbersztajn

Techno-Beats vermischen sich mit einer weichen Stimme: „I wanna fly, fly away / I wanna fly, fly away / Far far away from this place / Where nobody can bring me down.“ Im dazugehörigen Videoclip ist der Rapper Nissim Black zu sehen, wie er in schwarzer Kleidung in einem offenen Jeep durch Südafrika cruist. In der Storyline wird ein schwarzer südafrikanischer Junge jüdischen Glaubens in einem Township gehänselt. Er macht sich auf die Reise und sucht Nissim Black auf.

„Fly Away“ ist ein Track aus dem Album „Lemala“, dem vierten Album von Nissim Black, das er inzwischen neben zahlreichen EPs und Mixtapes veröffentlicht hat. Wer von Nissim Black noch nie gehört hat, kennt ihn vielleicht unter seinem früheren Künstlernamen D. Black. 2009 zirkulierte das Video des Songs „Yesterday“ aus dem Album „Ali‘yah“ auf MTV, das Album stand wochenlang in den TopTen der HipHop-Charts.

Damian D. Black galt damals als eines der großen Talente aus Seattle. In „Yesterday“ sprach Black von einem neuen Leben, neuen Atem. Trotz der schlechten Aussichten als schwarzer Mann in den USA müsse man nach vorne schauen und an sich arbeiten. Alle hätten einen Weg aus der „Hood“.

„Ali’yah“ hieß sein letztes Album unter dem Namen D. Black, kurz nach der Veröffentlichung bekehrte sich der Rapper zum orthodoxen Judentum. Eine Tour machte er noch, „solange er nicht am Schabbat auftreten müsse“. Damit hatte Black seinen Abschied „aus der Hood“ besiegelt.

Black, 1986 in Seattle geboren wuchs in Seward Park auf, einem Viertel der Westküsten-Stadt, er kommt aus einer Musikerfamilie. Blacks Eltern James „Captain Crunch“ Crooner und Mia Black gehörten in Seattle zu den Pionieren des Rap, als Mitglieder der Crews Emerald Street Boys und Emerald Street Girls. Auch die Großeltern arbeiteten als Musiker, sie gingen mit Ray Charles und Quincy Jones auf Tour. Blacks Familienleben war alles andere als romantisch. Im Song „This is Why“ aus seinem zweiten Album „Cause and Effect“ (2007) erzählt er ausführlich vom düsteren Alltag in seiner Jugend.

Drogen im Elternhaus, Polizeirazzien, Knarren, Rivalitäten unter Gangs, das ganze Ding. Vater James verließ die Mutter, als Black ein Kleinkind war. Der Großvater, der ihn im Vorschulalter in den Sunni Islam einführte, landete wie viel zu viele afrikanisch-amerikanische Männer hinter Gittern, wo er starb, ohne je wieder die Freiheit erlangt zu haben. Im Alter von 19 Jahren verlor Black auch seine Mutter, sie starb an einer Überdosis. Anerkennung fand er bei einer christlichen Pflegefamilie und in der HipHop-Community Seattles.

Es dauerte aber auch nicht lange, bis er die Widersprüche im christlichen Glauben entdeckte und in Jesus einen Juden sah. Zur Zeit seines 2009 Albums „Ali’yah“ nahm er Kontakt mit messianischen Christen auf (Jews for Jesus). Die Nähe zur jüdischen Gemeinschaft in Seattle machte ihn neugierig. Bald studierte Black beim sephardischen Rabbiner Seattles, bis er 2012 offiziell seinen Übertritt zum orthodoxen Judentum verkündete. Darüber hinaus schloss er sich dem chassidischen Breslauer Judentum an. Seit dieser Zeit ist er nur noch in traditionell orthodoxer jüdischer Kleidung unterwegs. Zunächst nahm er auch von seiner Musikkarriere Abstand. Das änderte sich, als sein Sohn schwer krank mit Meningitis im Krankenhaus lag. Verzweifelt wandte er sich an die höheren Mächte. Das Wunder, so sieht er es, trat ein: Ein altes Mikrofon, das jahrelang kaputt gewesen war, funktionierte plötzlich wieder.

Black interpretierte das als Zeichen von oben, er möge sein Reimtalent nutzen. Als Erstes erschien der Track „Chronicles“, im Video verkündet Black seinen Übertritt bildlich und textlich. Seitdem veröffentlichte er zwei Alben unter seinem neuen Künstlernamen Nissim Black, „Nissim“ und „Lemala“. Mögen bereits seine vorherigen Werke teilweise dem Subgenre des Conscious-Rap zuzuschreiben sein – so bezeichnet, weil Künstler sich sozialkritisch und positiv ausdrücken –, sagen nun sogar streng orthodoxe Juden, Nissim Black sei „völlig koscher“.

Seine Texte beziehen sich inzwischen auf religiöse Themen und die Vermittlung positiver Lebensansichten. „Ich habe gerade deswegen mit Techno-Produzenten zusammengearbeitet, damit meine Botschaft sofort eindeutig ist“, erzählte Nissim der taz bei einem Aufenthalt in London. Entsprechend viele Auftritte hat er inzwischen in der religiös jüdischen Gemeinschaft überall in der Welt. Das Lied „Hashem Melech“, das der israelische Sänger Gad Elbaz neu mit Black aufnahm, ist ein Smash-Hit in der internationalen jüdischen Szene.

Seit 2016 lebt er mit seiner Frau und fünf Kindern in Jerusalem – „eine natürliche Entwicklung, ich wollte im Land der Propheten leben“, sagt er. In neueren Songs wie „Ohavey Hashem“ verbindet Black geschickt HipHop, Pop und traditionelle chassidische Melodien. Zudem arbeitete er bereits mit jüdischen Künstlern wie Gad Elba, Lipa Schmeltzer und DeScribe zusammen. Demnächst soll er auch mit Alex Clare im Studio stehen. Das bietet sich an, weil der Ex-Brite Clare sich ebenfalls zum orthodoxen Judentum bekehrt hatte und wie Black in Jerusalem lebt.

Hat Black seine Wurzeln in der schwarzen Community vergessen? Immerhin schlug man ihn einst als Hauptdarsteller eines Films über Notorious B.I.G. vor. „Überhaupt nicht, ich suche nur nicht in der Vergangenheit nach meiner Identität. Ich bin und bleibe African-American!“, sagt er auf diese Frage. „Mein Übertritt zum Judentum bezieht sich eher auf meine mögliche direkte Beziehung zu Gott.“

Daran kann bei den Texten seiner neuen Alben nicht gezweifelt werden. Ist er konservativer geworden? „In der Art, wie ich mich präsentiere und anziehe, sicher, denn so wird einem auch in der Gesellschaft geantwortet. Ich werde heute respektvoller behandelt.“ Dennoch bleibt eine liberale Ader in ihm. Seine Erfahrungen innerhalb der African-American Community vermittelt er der religiösen jüdischen Gemeinschaft, die darüber nicht viel weiß. Aber er will in der Zukunft nicht nur Gigs in der jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft geben, er schließt Konzerte auch in der African American Community nicht aus. Und er ist sich darüber klar, dass noch vor wenigen Jahrzehnten beiden Gruppen, Juden und African Americans, in den USA gleiche Rechte verweigert wurden.

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