Man riecht sie noch

Aus dem Bärenzwinger in Mitte ist eine Kunstgalerie geworden, die auch Tierschützern gefallen dürfte: Es geht um die Abgrenzung von Tier und Mensch durch Zooarchitektur

Langsam erobert sich die Natur den Tierknast zurück Foto: Tobias Willmann

Von Lorina Speder

Im März 2013, als Ute Müller-Tischler Fachbereichsleiterin für Kunst und Kultur des Bezirks­amts Mitte wurde, war an den Bärenzwinger als Kulturstandort noch nicht zu denken. Die Bärin Schnute und ihre Tochter Maxi lebten damals als letzte Wappentiere der Stadt in dem Gebäude, das 1939 offiziell eingeweiht worden war. Nachdem Maxi im August 2013 starb und ihre Mutter Schnute im Oktober 2015 eingeschläfert wurde, stellte sich für Müller-Tischler die Frage, was mit dem Gehege in unmittelbarer Nähe des Märkischen Museums passieren sollte.

Denn ohne die Bären wurde der Zwinger vorerst zur Stadtbrache und Denkmal. Neue Tiere kamen nicht in Betracht – dafür erfüllte der Bärenzwinger die heutigen Prämissen der Tierhaltung nicht. „Als ich erfuhr, dass der Besitzer den Zwinger loswerden wollte, dachte ich nur, dass man mit dem Baudenkmal, das zur Berliner Stadtgeschichte gehört, etwas machen sollte“, sagt Müller-Tischler. „Die kommunalstädtische Kultur in Mitte hatte ihren Tiefpunkt erreicht. Wir wollten sie wiederbeleben.“

Im Team überlegte man, was man mit dem Bärenzwinger alles machen könnte: Ein Café, ein Restaurant, selbst ein Informationszentrum kamen wegen des geringen Platzes im Innenraum nicht infrage. So entstand die Idee, zu experimentieren und den Zwinger über einen begrenzten Zeitraum mit einem Kunstprogramm zu bespielen. „Dadurch, dass der Ort mit Kunst­installationen erstmals wieder begehbar ist, können Berliner und Zugezogene die Geschichte des Ortes erleben. Das ist für die Besucher hochinteressant. Außerdem ist der Bärenzwinger gut gelegen, schnell erreichbar und hat Charme“, sagt die Fachbereichsleiterin.

Die jungen Mitarbeiter ihres Volontärprogramms entwickelten ein Format für die Ausstellungen. Mit dem Konzept stellten sie Anträge für das Geld und schafften es so, die Förderung zuerst für zwei Jahre zu sichern. Inzwischen gehört der Bärenzwinger zum Fachvermögen Kultur des Bezirksamtes. „Ich weiß nicht, wie wir das Projekt nach den zwei Jahren finanziell sicherstellen. Aber da wird uns etwas einfallen“, ist Müller-Tischler überzeugt.

Da man selbst in die Käfige kriecht, durchlebt man im Zwinger viele kafkaeske Momente

Obwohl es anfangs viele Vorbehalte gab, haben sich die drei Ausstellungen seit der Eröffnung im September 2017 als Erfolg etabliert. Sie beschäftigten sich thematisch mit den „Spuren des Animalischen“. Denn die Spuren der Bären sind noch immer da. Läuft man in den rustikalen Mitteltrakt des Zwingers aus roten Ziegelsteinen, spürt man die Präsenz der Tiere. Sogar der Geruch lässt Jahre später auf die ehemaligen Bewohner schließen. Obwohl man sich aktuell inmitten einer Rauminstallation befindet, erkennt man an Spinnweben zwischen den oberen Gitterstangen der Käfige noch Überbleibsel von früher.

In der aktuellen vierten Ausstellung, die am Freitagabend eröffnet wurde, beschäftigen sich die eingeladenen Künstler nun mit einem neuen Themenblock. Diesen nennen die Kuratorinnen Nadia Pilchowski und Marie-Christin Lender „Architekturen und Segregation“. Das zentrale Thema der neuen Ausstellung „Habitat“ ist die Abgrenzung von Tier und Mensch durch Architektur.

Da man selbst in die Käfige kriecht oder sich gebeugt unter einer Folie zum Außenbereich schlängelt, durchlebt man beim Begehen des Bärenzwingers viele kafkaeske Momente. Die Besucher bekommen auf diese Weise eine neue Perspektive auf die Zooarchitektur, in der die Grenzen von Mensch und Tier vor Ort mit Kunst aufgeweicht werden.

Hier im Zwinger lebten, wie auf einer einsamen kleinen Insel, jahrzehntelang Berlins Stadtbären Foto: Robert Eckstein

Die Wände des ehemaligen Geheges sind von der Künstlerin Miriam Jonas mit pinkfarbenen Isolierplatten versehen, die aussehen wie Fliesen. Die Künstlerin wählte den Farbton „Baker-Miller-Pink“, dem eine beruhigende Wirkung von Gefängnisinsassen in Amerika nachgewiesen wurde.

Ob Tier oder Mensch – befindet man sich in den Käfigen, verdeutlicht sich trotz besänftigender Farbgebung die Unnatürlichkeit der Haltung eines Wesens an einem solchen Ort. Denn anders als bei Kafka begründen sich die gefühlte Verwandlung und Beengung nicht intrinsisch, sondern durch die Architektur. Deshalb ist es gut, dass der Bärenzwinger für Besucher offen steht und der Ort und deren Nutzung mit einem durchdachten Programm hinterfragt wird.

Steht man in der Dunkelheit am Zaun vor dem runden Wassergraben des Außengeheges, kann man durch die Spitzbögen einmal durch das von innen strahlende Gebäude schauen. Obwohl man noch lange die Spuren von Schnute und Maxi spüren wird, hat sich der Ort verändert: Die massiven Gittertüren zum Gebäudekomplex stehen sperrangelweit offen.

Bärenzwinger im Köllnischen Park, Ausstellung „Habitat“, bis 6. Mai, Di. bis So. 12 bis 18 Uhr