: Das letzte viktorianische Haus in der Grove Road
Im Wiener Belvedere 21 ist Rachel Whiteread eine Retrospektive gewidmet. Mit dem Betonnegativ eines zum Abriss bestimmten Hauses wurde sie bekannt
Von Ralf Leonhard
Ein seltsamer Zufall will es, dass Rachel Whiteread ausgerechnet kurz nach der Vereidigung einer rechtskonservativen Regierung wieder nach Wien kommt. Im Jahre 2000, als ihr Mahnmal für die jüdischen Opfer der Schoah am Wiener Judenplatz enthüllt wurde, war gerade Wolfgang Schüssel (ÖVP) mit der rechten FPÖ Jörg Haiders angetreten. Während der vierjährigen Arbeiten am Mahnmal, einem der Hauptwerke der britischen Künstlerin, hatten FPÖ-Funktionäre beständig Giftpfeile gegen das Projekt und die Künstlerin geschossen. Jetzt regiert der smarte Neocon Sebastian Kurz mit der einst von Altnazis gegründeten Partei, die sich heute ideologisch geschmeidiger gibt, aber vor allem durch unappetitliche Liederbücher und einen Feldzug gegen das Rauchverbot auffällt.
Obwohl die FPÖ mit moderner Kunst wenig anfangen kann, sind diesmal keine direkten Angriffe auf die 54 Jahre alte Bildhauerin zu erwarten. Was da ab 7. März im Belvedere 21 zu sehen ist, ist ein Best-of aus den vergangenen 30 Jahren. Leider nicht im Original, sondern nur auf Fotos zu sehen ist ein Werk, das der damals gerade 30 Jahre alten Künstlerin zunächst in Großbritannien zu großer Bekanntheit verhalf. Im Osten von London sollte ein ganzes Arbeiterviertel von Altbauten abgerissen werden, um für die von Spekulanten betriebene Stadtentwicklung Platz zu machen.
Whiteread gelang es, das letzte viktorianische Wohnhaus in der Grove Road 193 vor dem Abriss mit Beton auszukleiden, so dass nach der Demolierung des Gebäudes ein Abguss des Inneren stehen blieb. Knapp drei Monate blieb dieses Negativ eines eingeschossigen Hauses stehen und löste Debatten aus. Aufgesprayte Fragen wie „Why not?“ und Statements wie „This house is a nice home“ provozierten heftige Kontroversen. Als der Pachtvertrag für das Grundstück auslief, musste auch das Objekt „House“ der Planierraupe weichen. Der Künstlerin trug es den begehrten Turner Prize ein. 1997 gestaltete sie den britischen Pavillon auf der Biennale von Venedig.
Im Atelier ihrer Mutter, einer feministischen Künstlerin, wuchs sie zwischen Kunstwerken auf. Mit dem Vater, einem Geografie-Dozenten und Labour-Mitglied, streifte sie durch die Berge, um Fossilien zu entdecken. So wie die urzeitlichen Lebewesen unsterblich wurden, weil sie ihre Abdrücke im Gestein hinterlassen haben, so hält auch Rachel Whiteread vergängliche Dinge mit ihren Abgüssen fest. Manche haben höchst persönlichen Charakter, wie etwa der Kleiderkasten im Elternhaus, in dem sie sich als Kind zu verstecken pflegte, oder die Unterseite des Sterbebetts ihres Vaters.
Meist sind es völlig banale Gegenstände, denen aber eine tiefere Bedeutung gegeben wird. So etwa die an die Wand gelehnten Matratzen, die an die Lager von Obdachlosen in London erinnern, die untertags aufgestellt werden, damit sie weniger Regen abkriegen. Da sich das Elend auf den Straßen unter der neoliberalen Vorkämpferin Margaret Thatcher der 1980er und frühen 1990er Jahre besonders offen manifestierte, ist die sozialkritische Botschaft unübersehbar. Während ihrer Studienzeit sei sie stark von der Minimal Art beeinflusst worden, sagte sie bei der Presseeröffnung in Wien. Ihre eigene Kunst würde sie lieber als „Minimalkunst mit Herz“ klassifizieren.
Wärmeflaschen wie Torsi
Das Verschwinden spielt eine zentrale Rolle: vom Hühnerstall, der abgerissen wird, über Räume, die einem Umbau zum Opfer fallen, bis zum Verschwinden des jüdischen Volkes, dessen mit dem Holocaust-Mahnmal in Wien gedacht wird. Dieses Monument, das eine nach außen gekehrte Bibliothek darstellt, steht für das, was die jüdische Kultur ausmacht, hatte die Künstlerin damals erklärt. Dass das Mahnmal inzwischen zu einem Fixpunkt des Anschauungsunterrichts an den Kunstakademien in Wien geworden ist, mag erklären, dass junge Künstlerinnen in Österreich eine besondere Affinität zu Rachel Whiteread verspüren.
Architektur habe für Rachel Whiteread immer mit Körperwahrnehmung zu tun, sagt Kurator Harald Krejci. Das beginnt bei den Wärmeflaschen, die wie Torsi von Säuglingen nebeneinander liegen, und geht bis zum größten Objekt dieser Schau namens „Untitled“ (oder „Room 101“). Das Zimmer 101 ist ein Konferenzraum im Rundfunkgebäude der BBC, wo der Schriftsteller George Orwell ungezählte Sitzungen absolvieren musste. Die Atmosphäre in dem fensterlosen Raum muss so bedrückend gewesen sein, dass Orwell in seinem dystopischen Roman 1984 den Verhörraum des totalitären Überwachungsstaates nach diesem Vorbild gestaltete.
Für den Betrachter zeigt sich das Objekt zunächst als hässlicher Betonklotz, deswegen ist es sicher im Sinne der Künstlerin, dass jedem Besucher mit der Eintrittskarte ein Büchlein mitgegeben wird, das Geschichte und Aussage der 66 Exponate erläutert. Kunstkritiker sprechen vom Spannungsfeld des Kontrasts zwischen poetischer Aufladung und abweisender Oberfläche.
Neben Beton experimentiert Whiteread mit Werkstoffen wie Polyester, Kunstharz, Gips, aber auch Pappmaché. So sind die „25 Spaces“, quadratisch arrangierte, transluzente Zwischenräume unter Stühlen, aus Kunstharz. Die Hühnerstallfassade ist aus billiger Pappmaché.
Bis 29. Juli, Belvedere 21, Wien
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