Kurdische Frauenzeitung in der Türkei: Frauenquote: 100 Prozent
Kurdische Medien sind in der Türkei besonders viel Repression ausgesetzt. Mit ihren eigenen Medien schreiben Journalistinnen dagegen an.
In der Gründungsphase war JİNHA in der ganzen Türkei Gesprächsthema. Es war die Zeit der kurdischen Öffnung der türkischen Regierung, eine offizielle Hinwendung mit konkreten Lösungsvorschlägen zur Kurdenproblematik des Landes. Zahlreiche Agenturen und Medien, darunter die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu und die Doğan-Agentur, berichteten über die Gründung von JİNHA. Vielerorts wurde sie als erste Frauen-Nachrichtenagentur der Welt bezeichnet. Studentinnen meldeten sich, um ehrenamtlich bei JİNHA mitzuarbeiten.
Auch in Kurdistan war das Interesse an JİNHA überwältigend. Binnen kürzester Zeit war ein Netz freier Reporterinnen vom syrischen Rojava über Ankara bis ins osttürkische Van und das irakische Suleimaniya aufgebaut. Nachrichten aus dem Nahen Osten kamen als erstes von JİNHA-Reporterinnen vor Ort.
Noch bis zum Abbruch der Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK waren die Medien der Türkei an JİNHA-Meldungen interessiert. Ab dem Sommer 2015 allerdings nahm der Druck gegen die kurdische Presse massiv zu. Auch Reporterinnen von JİNHA wurden oftmals festgenommen, manche inhaftiert.
Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden im anschließend verhängten Ausnahmezustand per Dekret über 100 Medien, darunter auch viele kurdische, zum Schweigen gebracht. Am 29. Oktober 2016 wurde neben weiteren kurdischen Medien JİNHA per Dekret geschlossen.
Plötzlich Terrorist
„Nach fünf Jahren waren wir auf einmal Terroristinnen“, sagt Mızgin Tabu, ehemalige Redakteurin bei JİNHA, die heute bei der Nachfolgeorganisation Jin News arbeitet. Tabu glaubt, dass die Meldungen über Kämpferinnen im Widerstand der Autonomie-Zonen und Nachrichten über Vergewaltigungsfälle in der Region staatliche Stellen verärgert hätten.
Die JİNHA-Reporterinnen ließen sich nicht einschüchtern, auch wenn es schwierig war, ohne Büro zu arbeiten. Ihre Arbeitsplätze waren jetzt Cafés in Diyarbakır, Redaktionskonferenzen hielten sie per WhatsApp ab. Im Dezember 2016 ging die Internetzeitung Şûjin (Sacknadel) unter dem Slogan „Nadelstiche für die Sprache der Medien“ online. Im Gründungsstatement von Şûjin steht: „Als Journalistinnen werden wir mit unseren Federn gegen die machtzentrierten, männlich dominierten Medien anschreiben.“
Der 21. März ist der Tag des kurdischen Neujahrsfestes Newroz. Die KurdInnen begreifen ihn als Symbol ihres Kampfes um Selbstbestimmung. Zu diesem gehört der Versuch, im Norden Syriens eine Autonomieregierung aufzubauen – viele Linke setzten große Hoffnungen in das Projekt „Rojava“. Doch jetzt ist die Türkei gemeinsam mit dschihadistischen Gruppen in die Offensive gegangen. Am diesjährigen Newroz-Tag eskaliert der mit deutschen Waffen geführte Krieg in Afrin, der Westen lässt es geschehen. Die taz spürt zu Newroz mit einem Dossier der Lage der KurdInnen nach. Hier die Artikel im Überblick.
Die Onlinezeitung veröffentlichte auf Türkisch, in den kurdischen Dialekten Kurmanci und Sorani, auf Englisch und Arabisch. Am 25. August 2017 wurde die Onlinezeitung per Dekret verboten. Kaum war Şûjin geschlossen, wurde ihre Nachfolgerin, Jin News, gegründet. Auch der Zugang zu dieser Website wurde binnen kürzester Frist blockiert, doch Jin News publiziert weiter.
Es geht den Reporterinnen nicht nur um Berichterstattung, die Frauen in den Fokus nimmt. Ihre Berichte sind insgesamt ein Angriff auf die männlich dominierte Sprache in der Berichterstattung. Das in den türkischen Medien vorherrschende Bild der kurdischen Frau als Opfer der Traditionen brechen sie auf, indem sie mit ihren Meldungen auf jedem Gebiet Beispiele kurdischer Frauen geben.
Besondere Vorkehrungen sind nötig
„Du musst sie nur sehen wollen“, sagt Mızgin Tabu und verweist auf die politische Haltung vieler kurdischen Frauen. „Selbst wenn du hier auf die Felder in den hintersten Provinzen gehst und Landarbeiterinnen befragst, triffst du sie: Frauen, die sich gegen Diskriminierungen wehren.“
Häufig werden Reporterinnen in den kurdischen Gebieten festgenommen und sind besonders vielen Schikanen ausgesetzt. Einige, wie die JİNHA-Reporterin und Malerin Zehra Doğan, sitzen noch immer im Gefängnis.
Tabu berichtet, dass sie jeden Morgen besondere Vorkehrungen treffen müssten: „Wir fahren los, um Aufnahmen für ein Programm oder einen Bericht zu machen und fragen uns: Wo sollen wir unsere Kamera unterbringen, wo unser Stativ verstecken? Wenn wir festgenommen werden, kommen wir nach ein paar Tagen frei, aber wenn unsere Ausrüstung beschlagnahmt wird, bedeutet das, dass wir unsere Arbeit nicht mehr machen können. Auf unser Equipment achten wir nahezu besser als auf uns selbst.“
Kurden – Zwischen den Fronten
Die Auflehnung gegen die Schikanen ist nicht einfach. Die Jin News-Mitarbeiterinnen können mit jahrelanger Erfahrung glänzen, da sie diese Drangsalierungen schon seit Jahren erfolgreich abwehrten. Den staatlichen Repressionen zum Trotz setzt Jin News die Arbeit fort. Zu einer Zeit, in der die Gesellschaft sich lieber in Schweigen hüllt, in der Frauen in jeder Beziehung zum Rückzug ins Haus genötigt werden, gibt Jin News Frauen eine Stimme. „Nicht wir sollten kapitulieren“, sagt Tabu und klingt so euphorisch wie wütend.
Sie erinnert an ihre Kolleginnen, die von Shengal bis Mahmur umkamen. „Wir zahlen einen hohen Preis“, sagt sie. JİNHA, die erste Nachrichtenagentur von Frauen war 2012 ein Novum für die Türkei, und wenn man Tabu glaubt, wird diese Tradition mit den Jin News-Mitarbeiterinnen lebendig und widerständig fortgeführt.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
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