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Ein bisschen Spaß

Thorsten Lensing bringt David Foster Wallaces Riesen-Roman „Unendlicher Spaß“ auf die Bühne. Leider vergeht dem Stück zu selten das Lachen

Von Robert Matthies

Es ist ein Roman-Schwergewicht: Anderthalb Kilo wiegt die deutsche Ausgabe von David Foster Wallaces „Unendlicher Spaß“. Eine sich bis in hunderte Fußnoten und Unterfußnoten verzweigende Überfülle an Geschichten-Scherben und gebrochenen und zerbrochenen Figuren, an kreuz und quer durchmessenen Themen und Stilen hat das einstige Wunderkind der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur Mitte der 1990er-Jahre auf über 1.500 Seiten versammelt; die ins Deutsche zu übersetzen, brauchte Ulrich Blumenbach stolze sechs Jahre.

Um Tennis geht’s im Buch, ums Funktionieren in der Leistungsgesellschaft und Züchten von Erfolgen in der auf einem Hügel in Boston liegenden Enfield Tennis Academy; und ums Scheitern des erschöpften Selbst an den Ansprüchen, um Drogen, Depression – die ja auch Wallace selbst 2008 in den Suizid getrieben hat –, um Missbrauch, Gewalt und deformierte Biografien in der Entzugseinrichtung „Ennet House“ am Fuß des Hügels.

Und mit großer Geste ganz allgemein ums (Über-)Leben-Können inmitten des Zivilisationsmülls in einer dystopischen, nicht allzu fernen Zukunft: Hier sind die Jahre längst nach Produkten benannt, und den Abfall der Konsumgesellschaft schießt man in die „Große Konkavität“, eine riesige, von einer riesigen Mauer umgebene und von riesigen Hamstern bevölkerte Zone zwischen den USA und Kanada, in der die Natur, vor lauter Giftmüll außer Rand und Band geraten, wiederum zur Energiegewinnung genutzt wird.

Ein Science-Fiction-Roman also? Ja, aber genau so ein überdrehter Agententhriller, eine grell-komische Gesellschaftssatire und eine zarte Coming-of-Age-Geschichte stecken darin, das erschütternde, tief traurige Psychogramm einer Suchtgesellschaft, eine nicht von ungefähr an Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ erinnernde metastasierende Familiensaga und schließlich eine höchst moralische Kritik des Zynismus und Nihilismus der zeitgenössischen Unterhaltungskultur.

Und dann ist das Buch nicht zuletzt der literarische Spielplatz eines Sprachverrückten; eine Versuchsanordnung, die die Bedingungen des überhaupt noch Miteinandersprechen- und des Darüberschreibenkönnens auslotet, eines Sprechens und Schreibens, das ausdrücklich die ironische Distanzierung der Postmoderne hinter sich lassen und ergründen will, ob sich in all der Düsternis nicht noch wahrhaftige Hoffnung finden lässt. Aufschreiben wollte Wallace, „wie es sich anfühlt, heute zu leben, statt davon abzulenken“.

Schon als Literatur ist das nur mit Mühe konsumierbar. Die ganze Fülle aber auf eine Theaterbühne zu bringen: so wenig möglich wie einen Film daraus zu machen oder ein Hörspiel. Schon Matthias Lilienthal hat sich für seinen 24-stündigen Theatermarathon zum Abschied am Berliner Hebbel am Ufer 2012 auf wenige Motive beschränken müssen. Thorsten Lensing nun dampft das Ungetüm auf vier Stunden ein – und macht daraus eine Nummernrevue, oszillierend zwischen mitunter albernem Klamauk und einer sanftmütigen Beobachtung der bei aller Kaputtheit zumeist doch liebenswürdigen Figuren.

Konzentriert haben sich Lensing und sein sechsköpfiges Ensemble auf eine gute Handvoll des gestrauchelten oder zumindest strauchelnden Personals, allesamt zugeschnitten auf die unterschiedlichen Spielweisen der allesamt virtuosen Schauspieler*innen. Die Tennisakademie vertreten die drei Incandenza-Brüder Hal, Mario und Orin. Ersterer ist David Foster Wallaces literarisches Alter Ego: Ein hochbegabtes, vom Selbstmord des Vaters – Kopf in der Mikrowelle! – traumatisiertes, permanent kiffendes 17-jähriges Tenniswunderkind, das sich für modale Mathematik und präskriptive Grammatiken interessiert. Ursina Lardi spielt diesen Hal auf Tennis-Plateauschuhen treffsicher irgendwo zwischen Großkotz und verunsichertem Pubertären.

Eine tiefe Liebe verbindet Hal mit seinem von Geburt an geradezu grotesk verunstalteten Bruder Mario, den André Jung mit einer liebenswerten Zartheit spielt, dass man sofort aufstehen und ihm den Kopf streicheln möchte. Die abendlichen Gespräche der beiden im gemeinsamen Schlafzimmer gehören schon in der Vorlage zu den eindringlichsten und leisesten Szenen.

Die Telefongespräche Hals mit seinem sexsüchtigen Footballprofibruder Orin hingegen sind sozusagen der andere Pol des Abends: Immer wenn Devid Striesow auftritt, wird’s klamaukig. Besonders, wenn Striesow lidzuckend und irre dreinblickend den skurrilen Entzugsklinikbewohner Randy Lenz gibt, einen von Koks und anderen „Schnellmachern“ zerfressenen Psychopathen mit Uhrzeittick, der nachts Katzen und Hunde ermordet. Zu ihm gesellen sich der noch vor kurzem vom Schmerzmittel Demerol anhängige Ex-Ganove Don Gately, nun Aufseher und Hackbratenkoch für all die Gebrochenen, und die mysteriöse Joelle van Dyne aka Madame Psychosis. Die verbirgt ihr nach Selbstauskunft geradezu tödlich schönes Gesicht hinter einem Schleier und ruft und per nächtlicher Radioshow alle anderen „absolut rüde Verunstalteten“ zusammen.

Nur einzelne der unzähligen Szenen-Scherben zu beleuchten, das ist ein legitimer Inszenierungsansatz, und er führt immer wieder zu eindringlichen, vor allem aber absurd-komischen Szenen. Für David Foster Wallace waren Witze schließlich ausdrücklich die Flaschenpost, in denen die in der Welt Zerbrochenen einander ihre gellenden Hilfeschreie zusenden. Immer weiter aber verblasst den Abend hindurch hinterm Gelächter die tiefe Traurigkeit – und damit auch die Tiefe der Figuren. Nach der Pause wird Lensings Theaterspielplatz deshalb deutlich blasser und zäher. Kein Spaß ist eben unendlich.

Weitere Termine Sa + So, 24. + 25.3., 19.30 Uhr, Kampnagel (nur Restkarten)

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