Ein Leben mit Penelope

Barbara Nüsse gastiert mit ihrem Solo „Penelope“ im Renaissance-Theater: ein Stück Emanzipations- und Theatergeschichte

Von Katrin Bettina Müller

Die Schauspielerin Barbara Nüsse gehört zu den Gründen, aus denen man aus Berlin schon mal neidisch nach Hamburg schielen kann. Dort ist sie seit 2010 Ensemblemitglied am Thalia Theater, und in Berlin ist sie nur dann zu sehen, wenn das Thalia mit einer Inszenierung zum Theatertreffen kommt. Jetzt aber gibt es die seltene Gelegenheit, sie mit ihrem Solo „Penelope“ nach James Joyce’ Schlusskapitel aus dem „Ulysses“ im Renaissance-Theater zu erleben.

Warum man für sie schwärmen kann? Da gibt es viele Gründe. Einer davon ist, dass sie, die im Februar 75 Jahre alt wurde, zu den wenigen älteren Schauspielerinnen gehört, die tatsächlich immer noch neugierig und offen wirken. Seit sie bei Karin Baier 2009 den King Lear spielte, hat sie viele männliche Rollen übernommen: mit einem zähen, sachlichen, beeindruckend ausdrucksstarken Spiel. Sie hat mit vielen prominenten Regisseuren und mehreren Regiegenerationen zusammengearbeitet, im dramatischen und im postdramatischen Theater. Erfahrungssatt, aber nie triumphierend.

Auch ihre „Penelope“ ist ein Stück Theaterlegende. Die erste Fassung des nächtlichen Monologs einer liebeshungrigen Frau, Molly Bloom, die ungewohnt explizit über ihre sexuellen Erfahrungen, Bedürfnisse und Ernüchterungen redet, war 1986 entstanden und wurde auf Kampnagel gezeigt, damals von Freien Gruppen gegründet. Das Begehren stand hoch im Kurs, die Suche nach sexueller Emanzipation der Frau ebenfalls.

Für beides liefert der Text eine steile, wenn auch widersprüchliche Vorlage. Diesen Monolog hat Barbara Nüsse zusammen mit dem Regisseur Ulrich Waller 30 Jahre später wiederaufgenommen. Nun sitzt sie an einem Tisch auf der Bühne, hinter sich Standbilder und einzelne Szenen als Videoprojektion der früheren Fassung.

Molly Bloom und ihre Liebhaber

Molly Bloom, die eine Nacht lang auf ihren Mann Leopold wartet, wird von eifersüchtigen Verdächtigungen gepeinigt. Aber sie versteht auch seinen Hunger nach Abwechslung. Sind ihr doch selbst die Liebhaber wichtig, frühere, aktuelle, imaginäre. Sie malt sich Berührungen aus, beschreibt Erektionen, fantasiert davon, auch die männliche Lust kennenlernen zu wollen. Aber nicht nur das. Sie redet sich in Rage und in Wutanfälle, fühlt sich ausgebeutet und benutzt. Die Sexualität bleibt ein Gelände, auf dem sich Männer und Frauen nicht gleichberechtigt begegnen; dass dies aber geschehen könnte, ist ihre Utopie.

Nun merkt man dem 1922 erschienenen Text, einst unerhört in seiner Offenheit, einerseits seine Jahre an. Anderseits verblüfft er trotzdem und trieb einige Zuschauer im schon recht betagten Publikum des Gastspiels im Renaissance-Theater aus dem Saal.

Allerdings hat er durch das Alter der Schauspielerin, deren Molly Bloom schon mit Mitte dreißig über die nachlassende Attraktivität und den sinkenden Marktwert als Frau sinniert, neue Facetten gewonnen. Man merkt, dass man schon den Blick auf einen gealterten Frauenkörper mit entblößten Schultern nicht gewohnt ist und wird sich trotz allen Wünschen nach Offenheit und Vielfalt doch wieder bewusst, wo Normen und Klischees den Blick auf die Frau eng halten.

Was allerdings den Abstand von 30 Jahren angeht, der zwischen der früheren und der jetzigen Theaterfassung liegt, hätten sich daraus doch mehr Funken schlagen lassen. Was damals an dem Text aufregte, wird nicht mehr richtig greifbar. Wenn die Barbara Nüsse von heute ihr Bild von damals betrachtet, mit einem winzigen Amüsieren über den großen emotionalen Einsatz, dann wünscht man sich fast einen Kommentar, ein Aussteigen aus der Rolle, ein Reflektieren ihres Lebens mit diesem Text. Aber da ist man dann doch auf die eigene Vorstellungskraft angewiesen.

Im Renaissance Theater wieder am 17. März um 18 Uhr; 18. März, 16 Uhr