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Jetzt geht's wieder raus!

Da passiert was auf Berlins Straßen und in den Parks. Nicht nur leichtes Joggen, man trifft sich zu Zirkeltraining und verschärftem Sport. Devise: sich schinden – in Gemeinschaft. Ein paar Laufrunden mit der neuen Freude am Draußensport

Von Daniel Stoecker

Eigentlich ist es kein Tag, um freiwillig vor die Tür zu gehen. Dennoch stehen am Dienstag dieser Woche über vierzig Menschen in Sportbekleidung vor einem kleinen Café in Prenzlauer Berg. Die Temperaturen liegen knapp über null, aus dem Regen des Nachmittags ist feuchter Schneefall geworden. Die Menge tänzelt gegen die Kälte von einem Bein auf das andere. Dann erhebt Marco Prüfer, Besitzer des Café Kraft und Organisator der selbsternannten Kraft Runners, die Stimme.

„Heute laufen wir Meilen“, ruft er. „Die Strecke ist eine Meile lang, also 1,6 Kilometer. Ziel sind fünf Meilen.“

Unter Applaus und lautem „Auf geht’s!“ startet die Gruppe in die Aufwärmrunde. Hintereinander biegen die Runners um Straßenecken des Wohnviertels. Hin und wieder hallt ein „Vorsicht Fußgänger“ von vorne, einige LäuferInnen heben ihre Hände, um denen hinter sich ein Warnzeichen zu geben. Verkehrsschilder und Passanten werden so routiniert umlaufen.

Noch wird beim Laufen geplaudert – über Alltag, Arbeit und über Sport. Man berichtet von Verletzungen und persönlichen Bestzeiten. Auch das Wetter ist diesmal Thema bei dem wöchentlichen Lauftreff. Nach drei Wochen winterlichen Sonnenscheins sei dieser Tag der schlimmste der letzten Zeit.

Dementsprechend eingetrübt ist auch die Stimmung unter den Passanten. Genervt klingeln sich Fahrradfahrer in Regenjacken einen Weg durch die große Läufergruppe, die gerade den Schwedter Steg, die lange Fußgängerbrücke über den S-Bahngleisen, überquert.

Es darf auch weniger sein

Das Aufwärmen endet wieder beim Café. Nach kurzem Lockern der Beine geht es bei den Kraft Runners richtig los. Eine halbe Stunde wird gelaufen. Wer es schafft, läuft in dieser Zeit fünf Meilen. Doch auch drei oder vier sind in Ordnung, beruhigt Marco Prüfer die LäuferInnen.

Kurz nach dem Start sind die vordersten LäuferInnen bereits weit voraus. Andere gehen das Training entspannter an, laufen zu zweit oder dritt ruhigeren Schrittes hinterher. „Lass uns drei Runden schaffen“, sprechen sich einige ab.

Der Wind ist kalt, der Schneeregen trifft hart auf Stirn und Wangen. Trotzdem hängt man sich an andere, die ein wenig schneller sind als man selbst, um sich etwas anzuspornen.

Nach jeder Runde wird eine zweiminütige Pause eingelegt und dann die nächste Runde begonnen – nun in entgegengesetzter Richtung. So kommen sich schnellere und langsamere LäuferInnen ständig entgegen. Das motiviert. Man kann sich gegenseitig anfeuern, erklärt Marco Prüfer. Fünf Leute sollte jeder mindestens pro Meile abklatschen, hatte er vor dem Training in die Menge gerufen.

Gesagt, getan. Jeder wird beklatscht und bejubelt. Von dem militärischen Ton anderer Fitnessveranstaltungen wie etwa der sogenannten Bootcamps hält man bei den Kraft Runners nichts. Es geht schließlich um den Spaß am Laufen – auch bei eisigem Wetter.

Das vordere Feld feuert die Nachzügler im Vorbeilaufen an, sie hätten es bald geschafft. Und es scheint zu wirken. Wer noch letzte Kraftreserven hat, geht entschlossenen Blickes in den Endspurt.

Erster Schnee bleibt auf den Bürgersteigen liegen und macht die Wege glatt, Vorsicht ist geboten. Die Gesichtsausdrücke der LäuferInnen sind gequält, die Kleidung durchnässt. Was hat einen bei diesem Wetter nur wieder vor die Tür getrieben?

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