piwik no script img

Abtauchen ins Ungewisse

Das Meer als Lebensraum: In der Gruppenausstellung „Aquaria“ windet sich Plastikmüll tänzerisch im Wasser, wird das Liquide zur Google-Metapher – und zwei Künstler fischen nach Sounds

Von Lorina Speder

Seit Juni 2017 ist der amerikanische Autor Jeffrey Yang im Rahmen des DAAD-Künstlerprogramms zu Gast in Berlin. In seiner Poesie definiert er die Welt als ein Aquarium. Die neue Leiterin des Künstlerprogramms, Silvia Fehrmann, nahm sein Lyrikdebüt „Ein Aquarium“ von 2008 als Ausgangspunkt für die neue Gruppenschau „Aquaria“ in der Kreuzberger daadgalerie.

Dort beziehen sich Werke von elf ehemaligen Stipendiaten auf das Meer als Lebensraum. Die Künstler stellen mit Poesie, Fotografie, Installationen sowie Klang- und Videokunst eine Natur dar, die durch den Eingriff menschlicher Technologien eigentlich eine Natur nach der ursprünglichen Natur geworden ist.

Zwischen den Kunstwerken tauchen an den Wänden der Ausstellung immer wieder Yangs Gedichte auf. Die einzelnen Bestandteile seines Aquariums sind im Buch alphabetisch sortiert – für jeden Part verfasste er wie für den Oktopus oder den Seetang ein eigenes Gedicht. Doch Yang beschränkt sich nicht auf die Unterwasserwelt und deren Bewohner. Auch Google kommt vor: „Google is a sea of consciousness“, schreibt er. Wie die Tiefen des Meeres ist Google eine Parallelwelt, die separat von uns existiert und etwas Unheimliches bewahrt.

Das Meer ist dabei so mystisch, dass wir uns kaum trauen, uns darin länger mit all unseren Sinnen aufzuhalten. Allein die Aufnahme der weiß-gelben Kamtschatka-Qualle im Video „Pulmo Marina“ (2010) von Aurélien Froment lässt zweifeln, ob wir uns wirklich auf unserem Planeten befinden. Das durch Licht und Strömung im Aquarium inszenierte Wesen strahlt eine faszinierende Andersartigkeit aus. Wie wenig wir eigentlich über die Wasserwelt wissen, macht auch die Tonaufnahme „Ten Thousand Shells“ von Bruce Odland und Sam Auinger deutlich. Das Klangkunst-Duo nahm Geräusche im knietiefen Wasser vor einer Insel nahe Salvador auf. Der Boden war bedeckt mit Muscheln, deren Vegetation ein überraschendes Hörerlebnis offenbart. Mit Blick auf ein Abbild der im Wasser verschwindenden zwei Mikrofone hört man über die Kopfhörer ein reges Knacken und Brodeln. Die ruhige Idylle, die man unter Wasser erwartet hätte, gibt es nicht – das Meer ist lebendig, auch an Sounds. Selbst die am Meer lebenden Inselbewohner waren sich dessen auf Nachfrage von Odland und Auinger nicht bewusst.

Oktopus’ Reise

Der japanische Künstler Shimabuku dreht den Spieß um und zeigt einem Meeresbewohner unsere Welt: Er fängt in seinem Video „Then I decided to give a tour of Tokyo to the octopus from Akashi“ einen Oktopus im Fischerdorf Akashi im Süden Japans ein und verreist mit ihm. In einer mit Wasser gefüllten Plastiktüte fahren die beiden mit der Bahn nach Tokio.

Dort stellt der Künstler dem Oktopus seine Artgenossen auf dem Fischmarkt vor. Doch er bleibt vom Schicksal des Marktes verschont. Shimabuku bringt das intelligente Wesen zur Küste zurück und lässt den Oktopus am Ende mit seinen neuen Erfahrungen in der Welt oberhalb des Wasserpegels im Meer verschwinden. Besonders schön ist die letzte Szene am Strand, denn der Oktopus braucht eine Weile, bis er wirklich in die Wellen gleitet.

Eine weitere Szene am Strand findet man in Agnieszka Brzeżańskas Video „Plastic Beach“ von 2011. Die polnische Künstlerin war 2008 zu Gast in Berlin und zeigt Plastikmüll, der sich fast tänzerisch im Wasser windet und bewegt. Durch die fließenden Bewegungen und Farbkontraste wirken die von ihr eingefangenen Szenen malerisch, auch wenn sie eine traurige Wahrheit darstellen.

Die Ausstellung beleuchtet somit neben den Bewohnern der aquatischen Unterwelten auch die beunruhigende Verschmutzung der Meere, ohne aufdringlich zu wirken. Inwiefern künstliche Gegenstände für uns zur Selbstverständlichkeit geworden sind, fragt auch die Belgierin Edith Dekyndt. Ihr skulpturales Aquarium „A Portrait of Things – Replica“ untersucht, ob Menschen schon heute nicht mehr unterscheiden können, was Natur und was künstlich ist. Im bläulichen Wasser des Tanks befindet sich ein zerfetzter Lappen. Er schwimmt vollgesogen an der Wasseroberfläche, man ist sich wirklich nicht sicher, ob man etwas Organisches betrachtet.

Das Aquarium ist in Fensternähe der daadgalerie platziert und von außen durch die große Glaswand sofort sichtbar. Die Galerie gleicht in ihrer Architektur gewissermaßen selbst einem Aquarium. Und das Betreten der Ausstellungsstätte wird zu einem lohnenden Eintreten in ein eigenes, kontrolliertes Biotop voller Gedankenanstöße und Wahrnehmungserfahrungen.

Bis 31. März, daadgalerie, Oranienstr. 161

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen