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Psychedelic Hallodris

Musik als Zeitreise in den dissidentischen Untergrund von Prag und der DDR: Eine Konferenz mit Konzerten in Lissabon

Von Robert Mießner

Da ist eine melodiöse Fläche, die durch den Raum pulsiert; sie gibt den einen Rhythmus vor. Dann sind da wuchtige Schlagzeugblöcke, dem Instrument teils mit Paukenklöppeln entlockt. Das ist der andere Rhythmus. Industriell mutet er an. Doch er hat einen unwiderstehlichen Swing. Nun steigt Nebel auf, legt sich zuerst über die Instrumente, die elektronischen Apparaturen auf dem in der Bühnenmitte platzierten Tisch, dann das Standschlagzeug aus Snaredrum, Trommeln und Becken.

Nicht mehr lange, und das ganze Podium ist verhüllt. Gesang erklingt: „We are rampant / on the rampage / on the rampart / Ant Age Art.“ Aufgefahren sind wir, zum Amok aufs Bollwerk. Ant Age, nicht etwa Endzeit, sondern Ameisenalter. Wenn sich der Grauschleier lichtet, gibt er den Blick frei auf eine Bühnenprojektion aus Buchillustrationen von Athanasius Kircher, einem Universalgelehrten des Barock.

Die beiden Musiker sind Robert und Ronald Lippok von Ornament & Verbrechen, jenem wandelbaren, aus dem Ostberlin der achtziger Jahre stammenden Bandkollektiv um die beiden Brüder, die Worte sind die des Dichters Bert Papenfuß, mit dem sie kontinuierlich zusammengearbeitet haben. Der Song findet sich in einer frühen, stromstoß-hardrockigen Version auf „On Eyes“, dem im Vorwendesommer 1989 eingespielten und 1990 veröffentlichtem Vinyldebüt – vorher konnten nur Tapes zirkulieren – von Ornament & Verbrechen. Im Beiblatt empfehlen sie dazu einen Tanz. Der fällt heute aus, doch sind wir auch nicht in einem illegalen Berliner Schuppen kurz nach dem Mauerfall, sondern im Veranstaltungssaal des Goethe-Instituts Lissabon.

Wie kommt die Musik aus dem Osten in die westlichste Hauptstadt des Kontinents? Die portugiesische Kulturorganisation OUT.RA – Associação Cultural richtete eine Konferenz unter dem Titel „Unearthing the Music. Creative Sound and Experimentation under European Totalitarism“ aus, mit Fokus auf Osteuropa, zum Abschluss eines großen Recherche- und Dokumentationsprojekts. Das Konzert von Ornament & Verbrechen war Auftakt des Eröffnungstages, der mit zwei Podiumsgesprächen und einer Vorführung von Claus Lösers Dokumentarfilm „Behauptung des Raums – Wege unabhängiger Ausstellungskultur in der DDR“ begonnen hatte.

Das Wort Totalitarismus sollte am nächsten Tag zu einer freundschaftlichen Diskussion führen. Da nämlich unterhielten sich Chris Bohn, Chefredakteur des Londoner Musikmagazins The Wire, und der Brite Chris Cutler, durch seine Arbeit mit den Agit-Progbands Henry Cow und Art Bears bekannt geworden und auf Werken von Pere Ubu und den Residents zu hören. Bereits im Reader hatte Cutler Einspruch gegen die Verwendung des T-Worts in Verbindung mit Osteuropa erhoben. Auf dem Podium erinnerte er sich: wie er in den Siebzigern und Achtzigern in die ČSSR, DDR und Sowjetunion, nach Polen, Ungarn, Jugoslawien auf Besuch und zu Auftritten fuhr und wie er sich eines Tages mit Václav Havel unterhielt.

Der einstige Dissident und spätere tschechische Präsident pries Ronald Rea­gan; das verblüffte Cutler, aus dem England Margaret Thatchers kommend. Er sah sich in der Position, den Staatssozialismus trotz allem, was offenlag oder spürbar war, zu verteidigen. Zwei in unterschiedlichen Erfahrungen liegende Wertungen, meinte Cutler. Wann er in die Kommunistische Partei eingetreten sei, fragte Bohn Cutler. Mit 15. Und wann sei er ausgetreten? Mit 17, gab Cutler zurück. Die Dinge seien doch nicht so einfach.

Eine der Bands, die Chris Cutler damals besuchte, waren die Plastic People oft the Universe aus Prag. Gegründet kurz nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, waren die Plastic ­People so, wie osteuropäische Dissidenten gerne imaginiert werden und nicht selten auch waren: bärtig, durstig und langhaarig. Dekadente Hallodris, die Psychedelic-Rock spielten. Den Bandnamen hatten sie Frank Zappa entlehnt. In der ČSSR sahnten die Plastic People damit nicht ab, sondern fuhren ein.

In Lissabon nun führte das von ihrem einstigen Mitglied Ivan Bierhanzl geleitete Agon Orchestra mit Chris Cutler und anderen Gästen die Musik von Plastic People auf. Wunderschöner Jazzrock war das, konzertant und hypnotisch.

Und, obwohl sich aus anderen Quellen speisend, es entstand wie bei Ornament & Verbrechen irgendwann ein Loop. Vom Band liefen Texte des mit den Plastic ­People assoziierten Dichters Ivan Magor Jirous, hinter dem Ensemble waren historische Clips und Dokumentarfilme der Plastic People zu sehen. In einem von ihnen trat Václav Havel auf. Er machte eine bessere Figur als Jahre später im staatstragenden Anzug.

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