Bilder der Apokalypse
Vor acht Jahren beschloss das Künstlerpaar Danielle de Picciotto und Alexander Hacke, Berlin zu verlassen und als Nomaden um die Welt zu reisen. Zurück in Berlin stellen sie nun ihr neues Album „Menetekel“ vor
Von Jens Uthoff
Alles begann mit einer latenten Berlinmüdigkeit. Danielle de Picciotto und Alexander Hacke, eines der umtriebigsten und im positiven Sinne stursten Künstlerpärchen des hiesigen Underground, hatte sich entfremdet von jener Stadt, von der sie so lange angenommen hatten, es sei „ihre“ Stadt – weil Berlin ja immer schon anders gewesen sei, wie de Picciotto sagt, „bockig“ und „sperrig“.
Aber zu Beginn der zehner Jahre hatte sich etwas verändert. Und auch bei den beiden, die seit 17 Jahren ein Paar und seit 12 Jahren verheiratet sind, musste sich etwas ändern: „Wir mussten etwas sprengen. Wir fühlten uns hier nicht mehr wohl. Das hatte vor allem mit der Gentrifizierung zu tun, die zu dem Zeitpunkt so widerstandslos hingenommen wurde“, sagt de Picciotto. „Ich hatte das Gefühl, das alles hat nicht mehr so viel mit dem zu tun, was ich mal an Berlin gemocht habe.“
So erinnert sich Danielle de Picciotto heute, acht Jahre später, an die Zeit, als sie alles hinter sich ließen. Als sie, die Mitgründerin der Love Parade und bildende Künstlerin, und er, der Bassist der Einstürzenden Neubauten, ihr gemeinsames Haus in Berlin aufgaben, um als Nomaden zu leben. „Wir hatten ein Haus, voll bis obenhin mit all dem angesammelten Kram. Nun mussten wir alles loswerden. Wir haben nur unsere Instrumente, unsere Kunst, unsere Bücher und dieses Sofa hier behalten“, erzählt de Picciotto während des Interviews im Studio der beiden in Gesundbrunnen. Sie zeigt auf das bordeauxrote Sofa, das neben einem Schlagzeug steht und auf dem es sich der ganz in Schwarz gekleidete Hacke bequem gemacht hat.
Fortan reisten sie um die Welt, hielten sich im Rahmen von Artist Residencies im Ausland auf oder quartierten sich bei Freunden und Künstlerkollegen ein. Wenn es sein musste, auch mal im Hotel. Aber ein festes Zuhause hatten sie nicht mehr. „Normalerweise kehrst du, auch wenn du viel reist, immer an den Ort zurück, an dem du dich sicher fühlst“, sagt Hacke. „In dem Moment, wo es das nicht mehr gibt, musst du lernen, in dir selber zu ruhen oder eben auch dich sicher zu fühlen, keine Angst vor der Welt zu haben.“
Heute haben Hackedepicciotto – in ihrem Künstlernamen sind sie inzwischen fusioniert – zwar wieder zwei nebeneinander gelegene Arbeitsräume in Berlin, aber einen festen Wohnsitz haben sie immer noch nicht. Sie touren stattdessen viel durch Europa, Australien und die USA, wo de Picciotto aufgewachsen ist. Wie sich ihr Vagabundentum auf ihre Kunst ausgewirkt hat? Alexander Hacke: „Indem wir diesen Schritt gemacht haben, haben wir uns von bestimmten Grenzen und Schubladen gelöst. Warum also sollten wir die in unserer Musik beibehalten?“
Auf „Menetekel“, dem neuen Werk der beiden, kann man diesen frei flottierenden Ansatz hören. Darauf klingen Folk und Traditionals aus unterschiedlichen Weltregionen an, aber auch sakrale Musik. Und vor allem: Drone. Dieser Musik, also der lange ausklingenden, heute oft dröhnenden und wummernden Musik, fühlen sich die beiden auch durchaus verbunden: „Ich sehe uns da einerseits in der Tradition von Musikern wie La Monte Young und Phill Niblock, aber genauso beeinflusst von doomigen Gruppen wie Sunn o))) und Earth“, sagt Hacke. De Picciotto ergänzt, ihre persönliche große Beeinflussung sei Ennio Morricone gewesen – und ansonsten das Album von den Eindrücken on the road geprägt. Die hat de Picciotto schon in der Graphic Novel „We Are Gypsies Now“ (2013) beschrieben.
Ich bin das Chaos
So ist diese Geschichte einerseits eine der Entgrenzung – aber auch eine der Gegensätze. Zum einen trifft das auf die Aufnahmeorte zu, an denen „Menetekel“ entstand. Der eine Ort: eine mittelalterliche Kirche im österreichischen Krems, die Hackedepicciotto im Rahmen eines Stipendiums zum Experimentieren mit Hall, zur Auseinandersetzung mit der Architektur nutzten. Und der andere Ort: ein Studio in der Mojave-Wüste in Kalifornien, durch dessen gläserne Front sie auf Sand und Kakteen blicken konnten. Hier die Enge, da die Weite.
Auch als Menschen sind die beiden sehr unterschiedlich. De Picciotto zählt auf: „Ich schreibe wahnsinnig gerne Texte, Alex hasst es, Texte zu schreiben. Ich setze gern Spoken Word ein, er singt wahnsinnig gut. Ich komme aus der klassischen Musik, habe Geige und Klavier gelernt, Alex ist Autodidakt und Genialer Dilettant. Ich komme aus dem Neunziger-Techno, Alex aus der Achtziger-Subkultur. In der Musik hat er die Struktur, und ich bin das Chaos.“ Es kommen weitere, überraschende Gegensätze ans Licht: „Alex hört Lana Del Rey, ich höre Scott Walker.“
Die Stücke auf „Menetekel“, sind meist mehr als sieben Minuten lang. Das Album schließt mit einem epischen 20-Minuten-Stück ab. Auffällig sind die biblischen Motive, angefangen mit dem Albumtitel und fortgesetzt in den Songtiteln („Jericho“) und den Texten, die zum Beispiel die Vertreibung aus dem Paradies zum Gegenstand haben. Die Inspiration kam nicht etwa durch den Aufnahmeort in Krems, sondern durch den Zustand der Welt, der sich in den Jahren ihres Umherziehens fundamental verändert hat. „Ich bin Amerikanerin, und die Wahl Trumps hat dazu geführt, dass ich vier Monate ziemlich depressiv war“, sagt de Picciotto. „Dabei bin ich eigentlich kein depressiver Mensch. Aber ich dachte, es ist das Ende der Welt.“
Berlin kommt Alexander Hacke und Danielle de Picciotto wie ein gallisches Dorf vor
Deshalb seien nur solch starke Sujets infrage gekommen: „Ich hatte das Gefühl, da passieren gerade ganz existenzielle Dinge. Mit einer Alltagssprache, einer poetischen oder intellektuellen Sprache konnte ich dieses Gefühl nicht ausdrücken. Und ich hatte die ganze Zeit so Bilder vor Augen wie das einer einsetzenden Apokalypse.“ Ist ihre Kunst politischer geworden? „Das bleibt nicht aus“, sagt Hacke, „angesichts dessen, was gerade weltweit passiert.“
Dass sie heute zumindest wieder ihren Arbeitsplatz in Berlin haben und somit häufig hier sind, hat ebenfalls mit den politischen Entwicklungen zu tun. Denn viele andere Orte kamen für sie zum Leben und Arbeiten nicht mehr infrage. In den USA niederlassen? Nach Trump nicht mehr denkbar. England vielleicht? Das stand zur Debatte – dann kam der Brexit. Wien war auch noch so ein Gedanke, aber – nun ja. „Einer der Gründe, warum wie wieder mehr in Berlin sind, ist, weil wir es politisch im Moment am angenehmsten in Berlin und Deutschland finden. Derzeit kommt einem die Stadt wie ein gallisches Dorf vor“, sagt de Picciotto. Sie meint, dass auch das Widerborstige, das Berlin hat, wieder ein bisschen sichtbarer geworden sei. „Die Art und Weise, wie hier diskutiert und gedacht wird, ist eine andere als beinahe überall woanders auf der Welt. Und vielleicht kommt es aktuell gar nicht darauf an, dass es hier kunstmäßig total abgeht. Vielleicht braucht die Welt gerade etwas anderes.“
Für die „Gang of Two“, wie Hacke das Künstlerduo einmal im Laufe des Gesprächs nennt, hat mit den Erfahrungen des Nomadenlebens ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Sie leben umweltbewusster, nachhaltiger als zuvor, haben ihren Alltag umgekrempelt. „Wir sind zum Beispiel beide vegan geworden, und wir trinken nicht mehr. Wir haben kein Auto, versuchen möglichst viel mit dem Zug zu reisen statt zu fliegen“, so de Picciotto. „Ich streame keine Musik, ich kaufe sie auf Bandcamp“, fügt Hacke hinzu. Konsum, so erklären sie, sei nun mal bekanntermaßen ein Ansatz, persönlich etwas zu bewirken.
Nahe der Panke, wo sie nun ein Studio mit Instrumenten und Mischpult und ein Atelier mit Bildern und elektronischen Gerätschaften haben, fühlten sich die beiden sofort wohl. Das liegt auch daran, dass noch etwa 50 andere Ateliers im Haus angesiedelt sind. Das Momentum des Gemeinsamen interessiert beide, aktuell denken sie über Formen kollektiven Zusammenlebens nach. „Die Individualisierung hat heute so extreme Formen angenommen, dass es zum Teil überhaupt keine Berührungspunkte zwischen den Menschen gibt“, sagt Hacke.
All die Metamorphosen, die sie durchgemacht haben, nennt Hacke während des Interviews einmal „bewusste Arbeit an sich selbst“. Diese Arbeit, sie geht weiter. Es ist gewinnbringend, dabei zuzusehen und zuzuhören.
Releaseparty: 8. März, 22 Uhr, Quasimodo, Kantstr. 12A