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Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen

Das berühmte Musical „Anatevka“ erzählt von Pogrom und Vertreibung, ethnischen Säuberungen und auch von der Enge religiöser Communities, deren Regeln mit denen der Moderne nicht mehr kompatibel sind. Nicht zuletzt erzählt dieses Musical, das auf einem Stoff des großen jiddisch schreibenden Schriftstellers Scholem Aleichem beruht, auch von der Unterdrückung der Frauen in solchen Gemeinschaften. Gleichzeitig wird jedoch mit so großer Zärtlichkeit auf das rückständige Personal und sein inständiges Glücksbestreben geblickt, dass sich auch das Publikum mühelos darin erkennen kann. In der Komischen Oper hat sich Intendant Barrie Kosky dieser 1964 zuerst am Broadway unter dem Titel „Fiddler on the Roof“ herausgekommenen Geschichte angenommen: doch der Fiddler ist nun ein heutiges Kind, das eine Schranktür öffnet, aus der plötzlich wie unheimliche Gespenster der Vergangenheit die todgeweihten Bewohner des Dörfchens Anatevka entweichen. Kosky erzählt die Geschichte als Traum, als Alptraum manchmal auch, und zwar nach allen Regeln der Kunst. So gebannt schaut man selten einem Musical zu, wie hier – das trotz allem in keinem Moment mehr als ein Musical sein will. Die im vergangenen Dezember herausgekommene Inszenierung steht jetzt wieder auf dem Spielplan. Am 3. März zum Beispiel. Hingehen! (Komische Oper: „Anatevka“, 3. 3., 19.30 Uhr)

Das Thema Flucht und Vertreibung verhandeln auch die musikalischen Performer von Nico & The Navigators in ihrem Abend „Silent songs into the wild“. Die „silent songs“, die in die Wildnis unserer Gegenwart gejagt werden, sind von Franz Schubert komponiert worden und stammen aus dem Zyklus „Winterreise“. Die Stücke über die transzendentale Heimatlosigkeit des Menschen werden in der Performance nun aus der romantischen Innerlichkeit des existenziellen Schmerzes, von dem sie singen, in die rüde Gegenwart geworfen. Auch musikalisch. Die Kapitel heißen nun „Tote und Lebende“, „Lampedusa“ oder „Ferne“ (Radialsystem: „Silent songs into the wild“, 2.–4. 3., jeweils 20 Uhr).

Auch das Gefängnistheater Aufbruch hat sich für seine neue Produktion ein Stück Musiktheater vorgenommen: „Parsifal“ von Richard Wagner, das als Gleichnis über eine Welt gelesen wird, „in der sich der Einzelne entscheiden muss, ob er Triebbefriedigung und persönliches Fortkommen über universelle moralische Werte setzt oder nicht.“ Die Inszenierung von Peter Atanassow kommt in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Hanns Eisler zustande (JVA Tegel: „Parsifal, ab 1. 3., 17330 Uhr. Alle Infos: www.gefaengnistheater.de).

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