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Es war nicht alles Gold

Elastische IOC-Bosse, auffallend viele Asthmatiker und alles nur ja nicht ohne Make-up: Bei den Spielen von Pyeongchang gab es vielerlei zu bestaunen. Und tatsächlich auch schöne Momente

Spiel nicht mit denSchmuddelkindern!

Wie viel Doping ist zu viel Doping? Ein eigentlich simple Frage, die der gesunde Menschenverstand so beantwortet: Jedes Doping ist zu viel Doping. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) allerdings macht es sich nicht so einfach, das IOC beantwortet diese an sich profane Frage, wie viel Doping zu viel Doping ist, ungefähr so: Ja, äääh, ganz genau wollen wir das jetzt auch nicht wissen, aber wenn ihr Doper auch noch so blöd seid, euch immer wieder erwischen zu lassen, dann müssen wir eben notgedrungen, also echt sorry, weiter so tun, als würden wir euch bestrafen. Oder, anders gesagt: Das IOC hat sich in letzter Minute dazu durchgerungen, die Suspendierung Russlands doch nicht pünktlich zum Ende der Spiele von Pyeongchang aufzuheben. Auch bei der Abschlussfeier mussten die russischen Sportler auf die nationalen Symbole ihres Landes verzichten, durften nicht mit der russischen Fahne einlaufen, sondern wurden weiter unter dem Mogelpackungs-Kürzel „OAR“ subsummiert. Der Grund: Von den vier Dopingfällen von Pyeongchang gehen zwei auf das Konto der „Olympic Athletes from Russia“. Das war dann selbst für den elastischen IOC-Boss Thomas Bach mindestens einer zu viel, um die Sportkameraden seines guten Freundes Wladimir Putin wieder vollständig in die olympische Familie aufzunehmen. Was natürlich ein sportpolitischer Treppenwitz ist: Als das russische Staatsdoping, vom McLaren-Report für die Spiele in Sotschi nachgewiesen, vom IOC aber immer noch nicht so genannt, noch gut funktionierte, wurden russische Doper eher selten erwischt. Denn zum System gehörte ja, kann man bei McLaren nachlesen, eine lückenlose Verzahnung des russischen Sportbetriebs mit den dortigen, angeblichen Antidopingkämpfern. Würde das alles noch so reibungslos vonstatten gehen wie vor vier Jahren, wäre sicherlich niemand nach Pyeongchang geschickt worden, bei dem die Gefahr bestanden hätte, dass er auffällig wird. Die russischen Fans und Sportler hat die vermeintliche Bestrafung eh nie groß gestört: Auf den Tribünen wurde fröhlich die russische Fahne geschwenkt und zum Abschluss schmetterten die Eishockey-Olympiasieger auch noch vollkommen ungeniert die russische Hymne – und entlarvten so ganz nebenbei die Strafmaßnahmen des IOC endgültig als das, was sie immer schon waren: als lächerlich durchschaubaren Versuch, sich den Anschein zu geben, man engagiere sich tatsächlich für einen sauberen Sport – und nicht nur für die eigenen Pfründe. (to)

Die Asthmatikerin

Im Netz kursieren Bilder von Marit Björgen im Abendkleid. Ihre Oberarme sehen aus wie die eines Bodybuilders. Ob da jemand mit Photoshop nachgeholfen hat? Vielleicht, aber diese Bilder sind auch ein Dokument des Zweifels, der am Ausdauersport haftet wie Fingerabdrücke an der Dopingprobe. Geht bei der nun erfolgreichsten Olympionikin, die der Wintersport je hatte, alles mit rechten Dingen zu? Sind ihre Erfolge nur auf die frische Luft in Norwegen und die tief verwurzelte Langlauf­tradition am Holmenkollen zurückzuführen? Oder geht das nur mit der täglichen Dosis Salbutamol, die norwegische Athleten gern mit ihren Asthmasprays einnehmen? Das Land der Fjorde ist die erfolgreichste Nation bei diesen Olympischen Winterspielen von Pyeongchang geworden. Marit Björgen hat jetzt achtmal Gold, viermal Silber, dreimal Bronze zu Hause rumliegen. Nur die Sommerolympionikin Larissa Latynina, eine russische Turnerin, hat mehr (9-5-4). Das letzte Gold hat Björgen am Sonntag im Langlauf über 30 Kilometer gewonnen – mit dem Rekordvorsprung von 1:49,5 Minute. Offensichtlich kein Problem für die 37-Jährige, deren letzte Spiele das waren. (mv)

Platz für die Solisten

Wer will denn auch immer nur die Teamsportler und rührseligen Duos loben? Mindestens genauso wichtig für die Vermarktung der Spiele sind natürlich die Superstars, die Rekordhalter und Top-Top-Tops. Wenige hinterließen da so viel Eindruck wie die Tschechin Ester Ledecká, die erst auf Ski Gold holte, dann auf dem Snowboard. Gold in zwei Sportarten bei denselben Spielen, das ist freilich noch niemandem gelungen. Den Konkurrentinnen entlockte das den Ausspruch, die Ester sei „ein Vieh“, was wohl irgendwie anerkennend gemeint war. An der Ledecká kam niemand vorbei, einer Frau nicht nur mit Willen, sondern auch mit einigermaßen extravaganter Familiengeschichte: Der Vater ein bekannter Popstar, die Mutter Eiskunstläuferin, der Opa Eishockeyspieler und ebenfalls Träger zweier olympischer Medaillen. Da kann nichts mehr schiefgehen. Und Prioritäten bei der Außendarstellung weiß Ledecká ja auch zu setzen: Für die schönen Post-Sieg-Interviews erschien sie unbeirrbar mit aufgesetzter Brille, als stünde sie kurz vor der nächsten schwarzen Piste. Sie hat das dann so erklärt: Sie sei auf den Sieg nicht vorbereitet gewesen und habe kein Make-up aufgetragen, weshalb sie sich ohne nicht zeigen wollte (nicht ohne Make-up, nicht ohne Brille). Ein Doppelschlag der Ledecká, mal wieder: Ein bisschen Bescheidenheit, weil nicht mit Triumph gerechnet und so, ein bisschen Diva mit Recht auf ausreichend Gesichtsbedeckung. So funktioniert Startum. Und für eine zweite Karriere ist damit auch gesorgt. Vielleicht mit einer eigenen Make-up-Linie. (asc)

Schön war’s schon auch

Aber man muss ja auch nicht alles immer so kritisch sehen. Manchmal darf man den ganzen Dopingkram, die doofe Sportpolitik und das unangenehme IOC auch einfach vergessen, manchmal ist Olympia dann doch einfach schön und berührend. Dann zum Beispiel, wenn eine Ukrainerin sich im fünften Anlauf endlich ihren Goldtraum erfüllt und ein Franzose gar nicht mehr mit dem Heulen aufhören kann. Wenn eine Zweckgemeinschaft für vier Minuten zum Traumpaar verschmilzt, wenn die Kunst aus Eiskunstlauf nicht mehr bloß Zierrat ist, sondern tatsächlich ein Gesamtkunstwerk aus Bewegung, Musik und Emotion. Die Kür von Aljona Savchenko und Bruno Massot war sportlich und ästhetisch einer der Höhepunkte dieser Spiele, einer dieser oft beschworenen und dann doch eher selten zu bewundernden olympischen Momente. Und dass eine Ukrainerin und ein Russe die Paarlauf-Konkurrenz gewannen als deutsches Paar, das zeigt nur, wie überflüssig diese medaillenzählende Nationaltümelei doch eigentlich ist. (to)

Was bleibt als Botschaft?

Mit Botschaften soll man ja immer vorsichtig sein. Mit all den nationalistischen, emotionstümelnden, selbstherrlichen Messages. Mit den schönen Geschichten von Davids gegen Goliaths, von Underdogs, die es gegen alle Wahrscheinlichkeit packen. Aber manche von diesen Geschichten sind so gut, dass sie jeden Versuch der Inszenierung überwinden. Mariama Jamanka war so eine Geschichte. Die Berlinerin, die für Deutschland im Zweierbob die Goldmedaille holte, und das wirklich entgegen aller Expertenprognosen und trotz vieler Hindernisse. Eine Frau, die erst über zig Irrwege beim Bobsport landete, nach Ausflügen ins Ballett, Reiten, Cheerleading, Leichtathletik, Hammerwerfen. Da war ein Medaillengewinn durchaus das Ergebnis einer Reise, einer bunten Kombination von Sportlust jenseits von Karrierekalkül. Die Tochter einer Deutschen und eines Gambiers wurde im Bob von der Anschieberin zur Pilotin, überstand eine Umbesetzung ihrer Anschieberin wenige Wochen vor Olympia und eine Degradierung zu Deutschland 2. Der Sieg im letzten Moment wird und wurde natürlich mit Botschaften überladen: Der Multikulti-Botschaft von der ersten dunkelhäutigen Deutschen, die bei den Winterspielen siegt, die Underdog-Geschichte, die Story des neuen Traumteams mit Lisa Buckwitz. Aber auch und gerade ohne alle Botschaften war es einfach ein schöner Moment, der jeder Inszenierung trotzte. (asc)

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