: Bildung allein hilft nicht
Forscher diskutieren über soziale Spaltung
Von Kaija Kutter
Gut zehn Jahre ist es her, dass der Hamburger Bildungsforscher Ulrich Vieluf eine beeindruckende Grafik zeigte und anhand von Schülerstudiendaten und Postleitzahlen einen Gürtel der Bildungsarmut ausmachte, der sich quer durch das Stadtgebiet zog. Hamburg hatte damals beim Pisa-Test mit 30 Prozent „Risikoschülern“ eine sehr große Gruppe, die kaum in der Lage schien, später eine Ausbildung zu beginnen. Betroffen waren die Stadtteile Jenfeld und Billstedt, St. Pauli, Finkenwerder, Wilhelmsburg und Bahrenfeld.
Inzwischen ist die Bildungsbeteiligung in der Stadt erheblich gestiegen. Es gibt statt ehemals 35 Prozent über 50 Prozent Abiturienten und statt zehn nur noch sechs Prozent ohne Schulabschluss. „Aber man muss fragen, ob sich damit die Verteilung der Ungleichheit verändert hat“, sagt Vieluf heute. Denn höhere Abschlüsse bedeuteten nicht automatisch bessere Chancen. „Bildungspolitik ist von Sozialpolitik und Stadtentwicklungspolitik nicht zu trennen“, sagt der frühere Staatsrat der Schulbehörde.
Ist das alte Versprechen, dass Bildung Chancengleichheit in einer Gesellschaft ermöglicht, noch zu halten? Damit befasst sich am kommenden Dienstag die „8. Konferenz zur sozialen Spaltung“ unter dem Titel „Illusion Chancengleichheit – Wer bleibt beim Bildungswesen auf der Strecke?“ in der Hafencity-Universität. Eingeladen hat die Arbeitsgemeinschaft Soziales Hamburg, in der die Evangelische Akademie der Nordkirche und weitere Akteure aus Hochschulen vertreten sind.
„Je mehr Schülerinnen und Schüler an die Hochschulen streben, desto mehr verlieren ihre Abschlüsse an Wert. Die, die kein Abitur haben, schauen erst recht in die Röhre“, heißt es in der Einladung. Sie endet mit der provokanten Frage, ob die Wirkung von Bildung nicht überschätzt wird, und sie nicht gar „zur wachsenden sozialen Spaltung beiträgt?“
Auf der Konferenz wird zunächst die Bildungssoziologin Gudrun Quenzel über „Bildungschancen und Bildungsarmut“ referieren und nach einer Workshop-Phase der Berliner Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth eine kritische Bilanz der „Bildungs- als Aufstiegsversprechen“ ziehen. Und Forscher Vieluf wird mit Hamburgs Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock und Katja Urbatsch von der Gruppe Arbeiterkind.de darüber streiten, ob Bildung „der Königsweg aus dem Abseits ist“.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen