Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Nur eine Stunde nach dem Ende der Koalitions-gespräche kommt es in der SPD zur großen Personal-Rochade

Das neue Innen und Außen: Horst Seehofer soll Innenminister werden, Martin Schulz Außenminister Foto: Foto:Kay Nietfeld/dpa

Von Anja Maier

Müde, aber zufrieden“ – diese Nachricht hat die SPD-Führung am Mittwoch kurz nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen per WhatsApp versandt. Auf dem dazugehörigen Foto konnte man im Grunde schon gut erkennen, was nur wenig später öffentlich werden sollte: Martin Schulz gibt sein Amt als Parteivorsitzender an Andrea Nahles ab.

Man konnte es etwa daran erkennen, dass sich auf dem Selfie der sieben SpitzengenossInnen der Einst-100-Prozent-Vorsitzende hinten links gerade noch ins Bild drückte – und im Zentrum des Fotos eine glückliche Andrea Nahles strahlte.

Mit seinem Rückzug vom Vorsitz tut Martin Schulz seiner Partei gleich mehrere Gefallen. Sein Unvermögen, die SPD tatsächlich zu führen – verbunden mit dem damit einhergehenden persönlichen Scheitern –, kommt nun wohl zu einem gnädigen Ende. Und jenen Mitgliedern, die sozialdemokratische Politik als Handlungs-, nicht als Oppositionsoption begreifen, bietet er sechs wichtige Ministerien an im Tausch gegen ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag.

Auch die Händel mit seinem früheren Freund und zuletzt trickreichen Gegner Sigmar Gabriel beendet er mit einem Sieg – als dessen einstiger direkter Nachfolger als Vorsitzender und nun im Auswärtigen Amt. Vizekanzler soll wohl aber Olaf Scholz, Bundesfinanzminister in spe, werden.

Und letztlich: Mit Andrea Nahles bietet Schulz jenen in der Partei eine Vorsitzende an, die sich nach der Bundestagswahl unter dem Schlagwort #SPDerneuern zutiefst unzufrieden gezeigt hatten. Auch die Forderung vieler SPD-Mitglieder nach einer Frau an der Spitze würde mit Nahles erstmals in der Parteigeschichte erfüllt.

Selbstverständlich bedeutet die Rochade lediglich eine Teillösung jener massiven Probleme, die die SPD hat. Die Glaubwürdigkeitsfrage der Parteiführung bliebe nur teilweise gelöst: Andrea Nahles ist – bei allem Furor – so was von alte SPD, mehr geht kaum. Die 47-Jährige trat vor knapp 30 Jahren in die SPD ein. Mit 25 wurde die laute Frau mit der Lockenmähne Juso-Vorsitzende. 1998, mit dem Beginn der rot-grünen Regierungskoalition unter Kanzler Gerhard Schröder, wurde sie nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch eine von Schröders heftigsten Kritikerinnen. 2005 wagte Nahles, gegen Parteichef Franz Münteferings Wunschkandidaten für das Amt des SPD-Generalsekretärs anzutreten. Müntefering war dermaßen erbost, dass er nicht erneut als Vorsitzender kandidierte. Nahles hatte nicht brav gewartet, bis man ihr einen Frauenplatz anbot.

Ab 2009 wurde sie SPD-Generalsekretärin unter Gabriel – keine gute Zeit, da war zu viel geballtes Ego unter dem Dach des Willy-Brandt-Hauses. Erst als Andrea Nahles ab 2013 Arbeitsministerin in der Großen Koalition wurde, schwamm sie sich wirklich frei. Mindestlohn, Rente mit 63, Mütterrente – sie arbeitete hart daran, die SPD-Versprechen einzulösen. Im Gespräch mit der taz sagte sie damals, es zeichne sie „eine ganz solide Sturheit“ aus.

Für sie spricht, dass sie als künftige Parteivorsitzende und dennoch Nicht-Regierungsmitglied eine starke und eigenständige Fraktionsvorsitzende abgeben würde. Das lässt für die parlamentarische Auseinandersetzung hoffen, aber auch einiges befürchten. Denn Nahles scheut den Eklat nicht. 2013 sang sie im Bundestagsplenum das Pippi-Langstrumpf-Lied. Gleich nach ihrer Wahl zur Fraktionschefin am 27. September erklärte sie, die nächste Bundesregierung bekäme ab jetzt „auf die Fresse“. Und beim jüngsten SPD-Parteitag Mitte Januar hielt, ja brüllte sie eine kämpferische wie wütende Rede, dass einem Hören und Sehen verging. Erst danach gab es das Okay der Delegierten, überhaupt mit der Union zu reden.

Es ist nicht ausgemacht, dass Andrea Nahles das jetzt noch einmal hinkriegt. Denn nun hat die Basis das Wort: 463.000 Mitglieder werden über den Koalitionsvertrag abstimmen, die Rechtmäßigkeit hat gerade das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Juso-Chef Kevin Kühnert, Posterboy der parteiinternen #NoGroko-Bewegung, hat schon angefasst reagiert angesichts des kaum verhohlenen Stolzes der Führungsmannschaft. Er twitterte: „#NoGroko bedeutet nicht nur die Ablehnung eines Koalitionsvertrags (über den plötzlich niemand mehr spricht). #NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird. #SPDerneuern #fassungslos“.

Tatsächlich hatte die Führung ihrer Partei versprochen, erst einmal ausschließlich über die Inhalte des Papiers zu diskutieren. Dass nicht einmal eine Stunde nach dem Ende der Verhandlungen öffentlich über Posten geschwätzt wurde, lässt nichts Gutes ahnen.