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Deine Emotionen gehören nicht dir

Leicht, flirrend, außergewöhnlich: Josephine Deckers Coming-of-Age-Story „Madeline's Madeline“ (Forum)

Helena Howard als die Titelheldin in Josephine Deckers „Madeline’s Madeline“ Foto: Ashley Connor/Berlinale

Unweigerlich lässt der Titel von Josephine Deckers neuem Film an Proust denken, an Erinnerungen, an Familiendramen, an Leidenschaften, eine Fährte, die nicht falsch ist und doch zu kurz führt. Eine klassische Coming-of-Age-Geschichte ist „Madeline’s Madeline“, zumindest auf dem Papier. 16 Jahre ist Madeline (die fantastische Newcomerin Helena Howard) alt und gerade aus einer psychiatrischen Klinik nach Hause zurückgekehrt. Ihre Mutter Regina (Miranda July) ist verständlicherweise mehr als besorgt um ihre Tochter, dabei jedoch unfähig, ihr Raum zu lassen, um mit der nicht genau definierten Krankheit, aber auch ihrem Erwachsenwerden umzugehen. Die dritte Frau im Bunde dieses ohnehin komplett von Frauen vor und hinter der Kamera dominierten Films ist Evangeline (Molly Parker), Regisseurin eines experimentellen Theater-Workshops in New York, bei dem sich Madeline zunehmend zum Zentrum der Inspiration entwickelt.

Bei merkwürdigen ­Übungen versuchen die Schüler – die meisten etwas älter als ­Madeline – ihre Emotionen zu kanalisieren, spielen Katzen und Schildkröten und sagen dabei Sätze wie „Deine Emotionen gehören nicht dir, sie gehören jemand anderem.“ Nur wem? Und welche Folgen kann es haben, wenn die eigenen Emotionen dazu dienen, die Figuren eines Stücks zu befruchten, zumal eines Stücks, von dem die Regisseurin nicht genau weiß, wohin es führen soll? An etliche Filme von Jacques Rivette erinnert die Arbeit der Theatergruppe, durch das zunehmende Verschmelzen von Realität und Spiel, die experimentellen Übungen, das Erkunden der eigenen Persönlichkeit.

Deckers Film, nach „Butter on the Latch“ und „Thou Wast Mild and Lovely“ schon ihr dritter für ein winziges Budgets gedrehter Film, der im Forum zu sehen ist, kreist noch um zwei weitere Facetten. Zum einen ist das das Verhältnis der Ethnien zueinander: Madeline ist schwarz, ihr Vater abwesend, ihre Mutter und Evangelina sind weiß, wobei Letztere einen schwarzen Mann hat, von dem sie schwanger ist.

Ein zusätzlicher Grund, Madeline immer mehr wie eine Ersatztochter zu behandeln, sie nicht nur in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit zu stellen, das Stück zunehmend biografisch zu gestalten und dabei auf gefährliche Weise Madelines persönliche Probleme auszustellen. Es ist auch ein Grund, sie in den Schoß von Evangelinas Familie einzuladen, zu einem Barbecue in einem dieser typischen New Yorker Hinterhöfe, wo an einem heißen Sommernachmittag der Grill angeworfen wird und Madeline eine entspannte Familie kennenlernt, die ihr mit ihrer echten Mutter wohl versagt ist. Doch auch diese Rolle, in der sich Madeline unerwartet wiederfindet, sorgt für Irritationen, für einen ödipalen Moment, in dem sie Evangelines Mann sexuelle Avancen macht.

Noch spannender ist jedoch ein anderer Aspekt, das zunehmende Verschmelzen von Persönlichkeit und Rolle, die Frage, was gespielt ist und was real, wo auf der Bühne – oder im Kino – eine Rolle beginnt und wo die echte Person aufhört (oder umgekehrt). Oder anders gesagt: Welche Verhaltensweisen Madelines sind Folge einer etwaigen psychischen Krankheit und welche sind nicht mehr als idiosynkratische Verhaltensweisen, Spuren ihres Erwachsenwerdens, die nur in den Augen der Außenwelt, vielleicht auch in den Augen ihrer Mutter, merkwürdig oder gar besorgniserregend wirken? Schwergewichtig hört sich das an, doch Josephine Deckers Film ist das Gegenteil: leicht und flirrend, mit vielen Nahaufnahmen, extremen Unschärfen, durchflutet von der gleißenden Sommersonne, die fast vergessen lässt, welche Themen in diesem außergewöhnlichen Film angerissen werden.

Michael Meyns

17. 2., 21.30 Uhr, CinemaxX 3 (D), 18. 2., 20 Uhr Colosseum 1 (D), mit Gebärdensprache, 21. 2. 16.30 Uhr, Delphi Filmpalast (D), 25. 2. 16.30 Uhr CineStar 8 (D)

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