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Post als Kunst

Die Weserburg zeigt in einer kleinen Ausstellung Karten, Briefe und Telegramme von Künstlern wie John Cage und Robert Rehfeld

Von Radek Krolczyk

An seinen Freund, den belgischen Kurator Guy Schraenen, schrieb der Fluxuskünstler Endre Tót 1977: „I write you because you are there and I’m here“. Der Satz, einleuchtend und kurz, ist als letzter handschriftlich auf der Rückseite einer Postkarte zu lesen. Was vorn drauf ist, wissen wir nicht. Nur so viel erfahren wir: Sie wurde vom Absender selbst gestaltet und 1971 gedruckt. Ihr Titel jedenfalls passt gut zur Message: „your rain and my rain“ – minimalste Poesie. In der linken Ecke klebt eine grüne Briefmarke mit dem Verkehrswert Null – gestaltet von Mitgliedern der deutschen Künstlergruppe Zero.

Poststücke wie diese zeigt derzeit das Studienzentrum für Künstlerpublikationen in einer kleinen Ausstellung im Bremer Museum Weserburg. „Keep in Touch!“ ist ihr Titel, Thema ist die Künstlerpost. Auch Künstlerinnen und Künstler verschicken schließlich Postkarten, Briefe und Telegramme – um E-Mails und Chat-Nachrichten, die sie ja schließlich auch versenden, geht es in der Weserburg nicht. Ausgestellt sind in Vitrinen und Rahmen Dinge aus Papier, von Künstlern wie John Cage, Andrzej Dudek Dürer und Robert Rehfeld oder dem bereits genannten Endre Tót, die vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren aktiv waren.

„Die Korrespondenzen der Künstler werden in den meisten Museen als Archivalien verwaltet und bleiben der Forschung vorbehalten“, so Kuratorin Bettina Brach. „Wir hingegen behandeln dieses Material als eigenständige Kunstwerke und zeigen sie unserem Publikum“, erläutert sie einen Ansatz des Studienzentrums. Tatsächlich haben die ausgestellten Postalien einen eigenständigen und zuweilen interessanten Gehalt.

Denn eine Postkarte wie die von Tót stellt schließlich auch eine kleine Reflexion über die postalische Kommunikation dar. Schön und witzig ist sie im Übrigen auch, mit einer von Künstlern gestalteten Briefmarke, die auf mehrfache Weise wertlos ist. Eine besondere Charakteristik der Exponate der Mail-Art mag sein, dass sie ursprünglich nicht für den Markt oder das Museum hergestellt wurden, sondern an einen mehr oder minder bestimmten Empfänger. Meistens sind dies andere Künstler, gelegentlich aber auch Kuratoren, Verleger oder Galeristen. Das Bremer Studienzentrum hat im Laufe seines rund zwanzigjährigen Bestehens eine ganze Reihe privater Sammlungen solcher scheinbar nebensächlicher Kunstwerke erworben oder durch Schenkungen erhalten.

So eine private Sammlung ist die des niederländischen Künstlers Corneliusz „Kees“ Frencke. Dieser stand in den 1970er- und 1980er-Jahren mit zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern in regem brieflichem Austausch. Er war Teil eines internationalen Netzwerkes, das über die Grenzen hinweg miteinander in ästhetischer Form kommunizierte. Teil der sogenannten Mail-Art waren auch künstlerisch gestaltete Stempel, Umschläge oder Briefmarken. Die brieflichen Netzwerke schlossen auch Personen aus lateinamerikanischen oder osteuropäischen Regimen mit ein.

Zu Frenckes Sammlung etwa gehört eine Reihe von großformatigen Drucken des polnischen Künstlers Andrzej Dudek Dürer, an deren Rändern handschriftliche Mitteilungen zu finden sind. Zu sehen sind darauf unter anderem thematisch zur Mail-Art passende Zeichnungen wie die einer Weltkugel. Der dazugehörige gedruckte Text verweist auf die grenzüberwindende Kraft der Telepathie. Manche dieser Bögen dienen als Kettenbriefe, die zu Ausstellungen und Performances einladen. Von Frencke wünscht sich Dudek Dürer handschriftlich: „Please Copy & Circulate This Invitation“.

Von der japanischen Fluxuskünstlerin Takako Saito gibt es in der Weserburg kleine Papierobjekte zu sehen, die für den Versand per Post bestimmt waren: runde Scheiben aus Pappe, transparente Beutel mit bunten Buchstaben, gefaltete Flieger auf deren Flügeln das Wort „Scheiße“ steht. Diese Dinge waren als Einladungen zu Ausstellungen in die Bremer Galerie Beim Steinernen Kreuz gedacht. Saito stellte dort zu Beginn des Jahrtausends wenige Male aus. Dies waren kostenlose Multi­ples für ein größeres Publikum.

Für ihre Galeristin Brigitte Seinsoth persönlich hingegen gestaltete die Künstlerin eine Postkarte, auf der sie einige Gedanken zur nächsten Ausstellung in der Galerie formulierte, auf die allerdings ebenfalls mit dicker Farbe eine seltsame braune Gestalt war. Hier wird der künstlerische Charakter einer postalischen Sache vielleicht am deutlichsten.

Von dem amerikanischen Klangkünstler und Komponisten John Cage, der früh Radios manipulierte und Aufnahmen von Geräuschen zu Stücken zusammenstellte, gibt es eine kleine Reihe grafisch bearbeiteter Telegramme, so wie man es von seinen Partiturzeichnungen kennt. In einer vertikalen Linie ergeben Großbuchstaben den Namen „GERTRUD“, als eine Art grafisches Gedicht. Das Telegramm hatte er 1977 an Gertrud Meyer-Denkmann geschickt, einer Oldenburger Komponistin, mit der er lange Zeit in regem Austausch stand.

bis 25. März, Weserburg

Der Autor ist Inhaber der Galerie K’

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