piwik no script img

Reif für die Insel-Geburt

Aller Protest hat nichts genützt, die Geburtsstationen auf den Inseln Sylt und Föhr sind dicht. Seither müssen werdende Mütter zwei Wochen vor der Niederkunft aufs Festland reisen. Das kann sich ab dem Frühjahr ändern: Dann soll wieder ein kleines Geburtshaus auf Föhr eröffnen. Finanziert wird es durch Spenden

Von Karolina Meyer-Schilf

Gebären und geboren werden ist seit einigen Jahren auf den nordfriesischen Inseln und Halligen gar nicht mehr so einfach. Im Jahr 2014 schloss die Geburtsstation auf Sylt, ein Jahr darauf dann die auf Föhr. Es gab breiten Protest, eine Bürgerinitiative „Inselgeburt“ gründete sich, aber es war nichts zu machen. Seither müssen werdende Mütter, sofern sie nicht eine Hausgeburt planen, zur Entbindung aufs Festland.

Das könnte sich im Frühjahr ändern: Dann soll in Wyk auf Föhr ein kleines Geburtshaus entstehen. „Es ist natürlich kein Vergleich zu größeren Geburtshäusern in Großstädten“, sagt die Hebamme Kerstin Lauterberg, die gemeinsam mit der Föhrer Gynäkologin Juliane Engel werdende Inselmütter betreut und für das Geburtshaus verantwortlich ist. Aber immerhin: „Im Grunde ist das eine Art Mini-Kreißsaal.“

Möglich wurde das, weil aus der ursprünglichen Bürgerini­tiative inzwischen ein Verein geworden ist, der Mitgliedsbeiträge erheben und Spenden annehmen darf. Und ohne die Spenden wäre die Einrichtung eines Geburtshauses auf Föhr nicht möglich. Der Raum muss hergerichtet, ein Kreißbett und Beatmungsgeräte für Mutter und Kind angeschafft werden. „Wir arbeiten ganz viel mit gebrauchten Geräten“, sagt Lauterberg. Sonst wären die Investitionen überhaupt nicht zu stemmen. „Dass hier nicht die Masse entbindet, ist klar. Und dass das nicht wirtschaftlich ist, ist auch klar.“

Das Ziel des Vereins aber bleibt: Die Wiedereröffnung des Kreißsaales im Wyker Krankenhaus. Denn den gibt es nach wie vor. Finanziert wurde die Modernisierung vor einigen Jahren durch den Förderverein des Krankenhauses, genutzt werden darf er nach Schließung der Geburtsstation jedoch nur in Notfällen, ebenso ist es im Asklepios-Klinikum auf Sylt, der auch nur noch im Notfall genutzt werden kann. „Ein schwammiger Begriff, der sich rechtlich schlecht abgrenzen lässt“, sagt Lauterberg. „Was ist denn überhaupt ein Notfall, wo fängt er an?“ Das sei nicht eindeutig geklärt und daher für die Beteiligten auch versicherungstechnisch heikel.

„Wir haben recht wenig Notfälle hier, aber wir haben sie“, sagt die Hebamme. Neben den einheimischen Frauen sind im Sommer auch immer wieder Urlauberinnen betroffen: „Das wird oft vergessen, dass wir auch viele schwangere Touristinnen hier haben“, sagt Kerstin Lauterberg. „Die fallen vom Fahrrad, oder sie machen einen dreistündigen Spaziergang, was sie zu Hause normalerweise nicht tun.“ Im Notfall müssen Schwangere mit dem Hubschrauber aufs Festland geflogen werden. Richtig kritisch wird es, wenn zu einem medizinischen Notfall auch noch schlechtes Wetter kommt: „Bei Nebel etwa kann der Heli nicht kommen. Unter Umständen kommt man dann von der Insel nicht weg.“

Auch Transportfahrten mit dem Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettungs Schiffbrüchiger (DGZRS) kommen vor: Wie hoch die Zahl der Schwangeren ist, die von den Seenotrettern zum Festland gebracht werden, wird allerdings nicht genau erfasst – Schwangeren- und Krankentransporte landen in einer gemeinsamen Statistik. „Wir haben aber den Eindruck, dass es in den letzten Jahren weniger Schwangerentransporte sind, weil viele werdende Mütter vorzeitig in die Kliniken aufs Festland gehen“, sagt ein DGZRS-Sprecher. Im Jahr 2011 ist zum letzten Mal ein Baby an Bord eines Rettungskreuzers geboren.

Zwischen 60 und 65 Babys werden im Jahr auf den Inseln und Halligen gezeugt – geboren werden die meisten inzwischen auf dem Festland. Dafür gibt es sogenannte „Boarding“-Angebote in den Festlandkliniken: Werdende Mütter können sich frühestens zwei Wochen vor der Geburt in kleinen Apartments an der Klinik oder in nahe gelegenen Hotels einquartieren und sind dann, wenn es wirklich losgeht, schon an Ort und Stelle. Das Angebot tragen die jeweiligen Krankenkassen, die werdende Mutter muss lediglich für ihre Mahlzeiten und die Hin- und Rückfahrt aufkommen. Auch eine Begleitperson ist dort erlaubt.

Was gut oder zumindest praktisch klingt, sei allerdings „ein bisschen billig“, findet Hebamme Lauterberg: „Das Boarding ist eine besondere Herausforderung für die Frauen.“ Es sei eine zusätzliche Belastung. „Niemand stellt sich die Frage: Was macht das eigentlich mit den Frauen?“ Nicht immer können sich die jeweiligen Partner Urlaub nehmen und die werdende Mutter ins Boarding begleiten. Wenn schon ältere Kinder da sind, wird es besonders problematisch: Was geschieht mit ihnen, wer versorgt sie? Auf der Website des Klinikums Nordfriesland, das Krankenhäuser in Husum, Niebüll und auf Föhr betreibt, heißt es lapidar: „Können Geschwisterkinder nicht durch Verwandte oder Bekannte während der vorgeburtlichen Unterkunft in Husum betreut werden, so empfehlen wir, sich im Gespräch mit den Außenstellen des Jugendamtes auf den Inseln Föhr oder Sylt rechtzeitig um Hilfestellung zu bemühen.“

Lediglich das Klinikum Diako in Flensburg bietet eine Betreuung für ältere Geschwisterkinder während des Boardings an: Dort gibt es eine Kita mit extralangen Betreuungszeiten von 6 bis 18 Uhr und sogar einen Nachtkindergarten: „Und sollte eine Schwangere von Sylt, Föhr oder Amrum, die Gast ist im Boarding-Haus, in der Nacht ihr Kind bekommen, ist sogar nachts für eine Betreuung von Geschwisterkindern gesorgt“, heißt es auf der Website.

Die neue Kieler Jamaika-Koalition hatte sich eigentlich auf die Fahnen geschrieben, ein landesweit gültiges Geburtshilfe-Konzept zu erarbeiten, das ausdrücklich auch die Situation der Frauen auf den Inseln erfassen soll. Dazu gehört unter anderem ein Angebot zur Notfall-Simulation, an dem Rettungssanitäter aus Nordfriesland, Hubschrauberpiloten der DRF Luftrettung und Notärzte teilnehmen. Aber so eingehend hat sich das Gesundheitsressort mit der Situation offenbar noch nicht beschäftigt: Dass es inzwischen etwa auch in Niebüll keine Geburtsstation mehr gibt, hat sich bis ins schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium jedenfalls noch nicht herumgesprochen: Auf Anfrage der taz, wo werdende Mütter von den Inseln aktuell noch gebären können, antwortet ein Sprecher: „In den Kliniken auf dem Festland wie zum Beispiel Husum, Niebüll, Flensburg.“

Das Boarding-Konzept in Husum und Flensburg soll indessen wachsen: „Der Ausbau der Kapazitäten für die vorgeburtliche Unterbringung in Flensburg und Husum gehört zu den Maßnahmen des Landes zur Verbesserung der Situation der Geburtshilfe“, heißt es dazu aus dem schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium.

Dem Fernziel des Föhrer Vereins Inselgeburt, den Wyker Kreißsaal wieder regulär in Betrieb zu nehmen, erteilt das Ministerium aber eine Absage: „Das Land ist im Austausch mit den Beteiligten, um gegebenenfalls notwendige Maßnahmen wie zum Beispiel den Ausbau der Kreissaalkapazitäten in Husum unterstützen zu können. Es ist nicht vorgesehen, auf den Inseln wieder eine Geburtshilfe zu etablieren.“

www.inselgeburt.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen