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„Extrem und hartköpfig“

Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, 45, steht vor ihren siebten Olympischen Spielen. Ihr unermüdlicher Ehrgeiz speist sich aus einer Dopingsperre und ihrem Freund-Feind-Denken

Sie laufe so gut wie vor acht oder neun Jahren, sagt der Trainer über Claudia Pechstein Foto: imago

Aus München und Gengneung Markus Völker

Peter Mueller schiebt einen großen Einkaufswagen vor sich her. Er ist ganz froh, sich ab und zu auf das Teil stützen zu können, denn die lange Karriere als Eisschnellläufer und Trainer hat den 63-Jährigen körperlich ein bisschen mitgenommen. Der Mann mit der grauen Hippie-Mähne humpelt leicht, aber seine Laune bei der Einkleidung der deutschen Olympiaathleten ist blendend. Wenn man ihn recht förmlich mit „Mister Mueller“ anspricht, dann antwortet er entwaffnend: „Hey, call me Pete, okay!“

Pete ist der Trainer von Claudia Pechstein, der deutschen Dauerläuferin, die schon 1992 in Albertville bei den Olympischen Winterspielen dabei war. Sie dreht am Samstag ein paar Runden in der olympischen Eishalle von Pyeongchang, die in der Küstenstadt Gangneung steht. Die 3.000 Meter stehen an (12 Uhr, MEZ). Man glaubt es kaum, aber es sind schon ihre siebten Spiele, und das, obwohl sie Vancouver 2010 verpasste, weil sie eine Dopingsperre absitzen musste. Pechstein wird während der Spiele 46. Vielleicht gewinnt sie in Südkorea ihre zehnte Olympiamedaille. Die Chancen über 5.000 Meter am Freitag in einer Woche stehen nicht schlecht.

„Ich kenne sie, seit sie 15 ist, wir haben ein gutes gegenseitiges Verständnis“, sagt Mueller. Man fragt sich automatisch, auf welcher Ebene sie zusammenfinden, er, der Mann aus Wisconsin mit der Easy-going-Attitüde, und sie, die Ostberlinerin, die im Laufe ihrer langen, langen Karriere ihre Verbissenheit und später ihre Wut versilbert und vergoldet hat. „Wir treffen uns vor allem auf der Ebene des Resultats. Wir sind beide ziemlich extrem und hartköpfig, irgendwie kommen wir aber immer zusammen, das Training funktioniert. Klar, sie hört nicht auf allzu viele Leute.“

Aber auf Pete, den lockeren Ami, hört sie schon. Das liegt vielleicht auch an der Erfahrung des US-Amerikaners, der ja nicht nur 1976 in Innsbruck Olympiasieger über 1.000 Meter geworden ist, sondern verdammt viele Topathleten und -athletinnen trainiert hat: Bonnie Blair und Dan Jansen, Jan Bos, Gian­ni Romme und Marianne Timmer, mit der er auch verheiratet war. Seine Athleten haben sechs Olympiamedaillen gewonnen. Er arbeitete für die Amerikaner, Holländer, Österreicher, die Norweger und die Deutschen. Er ist Kosmopolit – und einer, der auch einen frühen Beitrag zur #MeToo-Debatte geleistet hat. Vor neun Jahren wurde er von den Norwegern gefeuert, weil er die Läuferin Maren Haugli allzu schlüpfrig angegangen haben soll. Mueller ist in der Szene durchaus bekannt für kleinere Grenzüberschreitungen.

#MeToo-mäßig geht von Mueller heute keine Gefahr mehr aus, denn zwischen Claudia Pechstein und Peter Mueller steht Matthias Große, der alles Mögliche ist, unter anderem der Lebensgefährte der Ostberlinerin. Sie sagt das freilich nicht so, sie nennt ihn Beschützer. Oder Bodyguard. Aber dazu später. Jetzt geht es erst mal um diesen Wahnwitz, dass eine Athletin, die mit fünf schon auf Kufen stand, 40 Jahre später immer noch Lust hat, im Oval zu kreisen – und sogar mithalten kann mit den Besten, die mitunter 25 Jahre jünger sind als Pechstein, die Veteranin mit dem eisernen Willen.

„Sie ist eine zeitlose Uhr, die immer weiter tickt“, sagt Mueller und lacht laut, „was sie leistet, ist unglaublich. Sie hat mich vor zweieinhalb Jahren angerufen“, und die Sache war schnell klar. Pechstein und Mueller gründeten ein Team, das sie The Internationals nannten. Nachwuchsläufer aus Russland, Ungarn oder Norwegen profitieren von Pechsteins Aura des Erfolges, sie wiederum vom Windschatten der physisch stärkeren Männer. Mueller hat Pechstein mehr Gewichte stemmen lassen und an ihrer Schnellkraft gearbeitet. Das hat der Sportpolizistin nicht immer gefallen, „aber es musste sein, sie hatte zu wenig für die Kraft getan. Jetzt läuft sie so gut wie vor acht oder neun Jahren, wir sind sehr zufrieden“, sagt Mueller.

Welches Geheimnis sich hinter Pechsteins Unermüdlichkeit versteckt, wollen wir wissen: „Na ja, sie ist ein echtes Wunder“, sagt der Trainer ohne jedes Pathos, „was sie leistet, ist nicht normal. Manchmal im Training sehe ich, dass sie ziemlich kaputt ist, und ich denke, vielleicht ist sie jetzt über der Kippe, aber nach einer kurzen Ruhephase ist sie wieder zurück.“ In ihrer langen Laufbahn hatte Pechstein nie eine größere Verletzung.

Auch der Verschleiß hält sich in Grenzen. „Natürlich spürt sie die Knie, die Hüfte und den Rücken. Das ist normal“, sagt Mueller. „Das ist ja kein Sport, sondern Arbeit, brutale Arbeit.“ Pechstein kann offensichtlich nie genug bekommen. Wenn andere pausieren und den Sommer genießen, nimmt sie, die ewige Leistungssportlerin, zum Beispiel an Rollschuh-Volksläufen im Spreewald teil. Wettkämpfe sind ihr „Hobby“. Sie braucht den Sport wie der Abhängige die nächste Dosis. Bücher, zum Beispiel, geben ihr nichts.

Aber neben der harten Arbeit, die sie im Schichtdienst auf nicht enden wollenden Dienstreisen in kalten Eispalästen ableistet, kann sie auf ihr Gefühl vertrauen. „Technisch ist sie die beste Eisläuferin. Sie versteht den Schlittschuh, sie weiß ihn in Schwung zu bringen. Sie ist physisch sicherlich nicht die stärkste Frau oder die beste Ausdauerathletin, aber die beste Gleiterin“, erklärt Mueller Pechsteins eiskalte Ökonomie. Man hätte sie gern selbst über das Mirakel ihrer Gleitzeit befragt, aber sie spricht nicht mehr mit allen Medien.

Matthias Große trifft die Vorauswahl, und wer seiner Meinung nach „keinen richtigen Journalismus“ betreibt, – die Super-Illu fällt übrigens nicht unter den Große-Bann –, der darf nicht mit Claudia Pechstein sprechen oder wird gleich an einen Security-Mitarbeiter verpetzt, der einen nicht mehr aus den Augen lässt. Weil das ein bisschen unheimlich ist, muss dann sogar die Medienchefin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Ulrike Spitz, einschreiten und Große mitteilen, dass diese Art der Einschüchterung doch ein bisschen zu weit geht.

„Sie ist eine zeitlose Uhr, die immer weiter tickt. Was Claudia leistet, ist unglaublich“

Peter Mueller Claudia Pechsteins Trainer

Aber für Große, Tausendsassa aus Berlin-Köpenick, ist so etwas normal. Er hat schon ganz andere Dinger gedreht. Es versteht sich für ihn von selbst, dass er in Pyeongchang im offiziellen Betreuerteam des Sportbundes steht. Was ihn dazu prädestiniert? Nun ja, er ist der Lebensgefährte von Pechstein, der Medaillenaspirantin. Das Duo harmoniert perfekt, weil Pechstein jene Härte, mit der sie ihre Karriere vorangetrieben hat, nun auch outsourcen kann. Dass es im 153 Athleten starken Team der Deutschen etwa 35 bis 40 Medaillenanwärter gibt, die möglicherweise auch gern ihre Partnerin oder ihren Partner so nah dabei gehabt hätten? Uninteressant.

Der DOSB gewährt Pechstein eine Sonderrolle, und das ist auch deswegen bemerkenswert, weil sie ja noch immer formaljuristisch eine Täterin ist, eine Doperin, die nach einem Urteil des internationalen Sportgerichts Cas den Sauerstofftransport in ihrem Blut unerlaubt verbessert hat. Für den DOSB ist Pechstein aber keine Dopingsünderin mehr. Die Funktionäre glauben ihrer Version, wonach sie an einer vererbten Blutanomalie leidet, an einer sogenannten hereditären Sphärozytose, die in der Vergangenheit komischerweise immer zu Saisonhöhepunkten aufflackerte und dann besonders viele Retikulozyten in ihr Blut spülte.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann sieht sie voll rehabilitiert und hätte sie ganz gern als Fahnenträgerin gesehen. Aber nach einer Abstimmung, bei der Fans und Sportler unter fünf Wintersportlern auswählen konnten, wird der Nordisch-Kombinierer Eric Frenzel am Freitag (12 Uhr, MEZ) das deutsche Team ins Stadion von Pyeongchang führen. Frenzel, 29, ist Olympiasieger, fünfmaliger Weltmeister, und er hat Claudia Pechstein etwas voraus: Er ist ein umgänglicher, beliebter Typ. Der DOSB ist wohl ganz froh über das Votum, endet damit doch eine kontroverse Diskussion über Pechsteins Eignung für den Job als Repräsentantin der Bundesrepublik Deutschland.

Die einen sehen in ihr eine unermüdliche Vorkämpferin für Athletenrechte, vergleichen sie sogar mit dem belgischen Fußballer Jean-Marc Bosman, der einst das Transfer­wesen der ganzen Branche ins Wanken brachte, und hoffen auf ein positives Urteil für sie vorm Bundesverfassungsgericht (oder sogar vorm Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte), andere erkennen auch Züge von Rücksichtslosigkeit und Renitenz. Ihren Kritikern schleuderte sie jüngst in einem Interview der Welt am Sonntag wieder ein trotziges „Ihr Existenzvernichter kriegt mich nicht klein“ entgegen: „Nur durch sportliche Erfolge kann ich in dem Kampf gegen meine skandalöse, ungerechtfertigte Dopingsperre zurückschlagen.“

Claudia Pechstein kann nicht anders, sie macht sich entweder Freunde oder Feinde. Coach Peter Mueller ist ein Freund, aber ein kritischer. „Ich habe das Glück gehabt, in meinem Leben viele Supersportler trainiert zu haben.“ Sie seien alle ziemlich empfindlich gewesen. „Sie sind schnell auf der Kippe zwischen Superstar und Arschloch.“

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