: Irre Hunde heulen
Franz Schuberts „Winterreise“ gehört zu den Dingen, die gute Chancen haben, das Ende der Welt zu überdauern. So wie Stonehenge oder Tim & Struppi. Und um es eine Nummer kleiner zu haben: Der Liederzyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller inspiriert bis heute.
Dass man das 1827 entstandene Werk auch in unveränderter Gestalt immer wieder neu hören und deuten kann, machen der britische Tenor Mark Padmore und der australische Pianist Kristian Bezuidenhout mit ihrer aktuellen Einspielung vor. Padmore, in dieser Saison Artist in Residence der Berliner Philharmoniker, lässt sich von Bezuidenhout nicht an einem modernen Flügel begleiten, sondern am Hammerklavier, also einem Tasteninstrument, wie Schubert es selbst gespielt haben dürfte.
Sie sind nicht die Ersten, die einen solchen „historischen“ Ansatz wählen, das nimmt dem Ergebnis aber nichts von seiner heftigen Wirkung. Padmores klare, gefasst melancholische Stimme und der fragile Klang, den Bezuidenhout seinem Klavier entlockt, rücken einem die Themen Vereinsamung, zerstörte Liebeshoffnung und Todessehnsucht auf einschneidend intime Weise nah. Eine dezent britische Diktion ist zu vernehmen, kann man jedoch locker verschmerzen. „Lasst irre Hunde heulen“, wie es im ersten Lied „Gute Nacht“ heißt. Ja, das muss man.
Ganz anders geht Bezuidenhouts Landsmann und Kollege Paul Hankinson vor. Sein Album „Echoes of a Winter Journey“ ist eine Fantasie über kleine bis kleinste Partikel aus der „Winterreise“. Damit reiht sich der in Berlin lebende Pianist in die derzeit höchst erfolgreiche Welle von verträumt-minimalistischen Klavieralben ein, von denen es fast ein bisschen mehr als nötig gibt. Dennoch kann man bei Hankinson guten Gewissens eine Ausnahme machen. Seine Schubert-Echos sind ihm gelungen.
Ob das Resultat nun Schubert ebenbürtig ist, sollte dabei weniger die Frage sein. Hankinson greift dafür die reduzierte Innigkeit Schuberts in einer Form auf, die für sich genommen allemal stimmig ist. Und die ihn davor bewahrt, ins Verklimperte abzudriften. Impressionistisch und streng zugleich. Das bekommen nur wenige hin. Tim Caspar Boehme
Franz Schubert: „Winterreise“, Mark Padmore, Kristian Bezuidenhout (Harmonia Mundi)
Paul Hankinson: „Echoes of a Winter Journey“ (Traumton)
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