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Laser legt Maya-Metropole im Dschungel frei

Im indigen geprägten Guatemala haben Archäologen eine riesige Maya-Siedlung entdeckt und damit die Forschung über die mittelamerikanische Hochkultur auf den Kopf gestellt – auch wegen einer revolutionären Technologie

Von Ralf Leonhard

Im Hollywood-Klassiker „Star Wars“ aus den 1970er Jahren sieht man ein Raumschiff über den guatemaltekischen Dschungel fliegen. Aus dem dichten Gehölz ragt die Spitze eines Tempels. Es ist der massigste der sakralen Bauten der alten Maya-Stadt Tikal und das höchste präkolumbische Bauwerk des Kontinents. Tikal ist heute eine Touristenattraktion im Norden Guatemalas, eine Flugstunde von der Hauptstadt entfernt. Bis zu 90.000 Menschen sollen dort während der Hochblüte im 8. Jahrhundert gelebt haben – mehr als ein halbes Jahrtausend vor der Ankunft der spanischen Eroberer. Tikal wurde zwar erst vor rund 140 Jahren ausgegraben, doch von dichter Vegetation überwucherte Tempel waren schon von Reisenden beschrieben worden.

Ganz anders die Stadt, die jetzt dank neuester Technologie unter dem Urwald entdeckt wurde. Rund 80 Kilometer südwestlich von Tikal, so enthüllt das Magazin National Geographic in seiner jüngsten Ausgabe, liegen die Überreste einer Mega-City, deren Dimensionen die gesamte Maya-Forschung über den Haufen wirft. Tempel, Paläste, Pyramiden, Festungsmauern, Häusersockel, insgesamt um die 60.000 Strukturen, wurden da ausgemacht. Breite Straßen und von Bewässerungskanälen durchzogene Felder lassen auf eine hoch entwickelte Zivilisation schließen.

Wohl dreimal so viel Maya

Dank der neuen Erkenntnisse muss man die bisher angenommene Gesamtbevölkerung der Maya verdreifachen. „Die meisten sind von fünf Millionen ausgegangen“, wird der Archäologe Francisco Estrada-Belli von der Tulane University in National Geographic zitiert: „aufgrund der neuen Daten ist es nicht gewagt, von 10 bis 15 Millionen Menschen zu sprechen“. Viele davon dürften im sumpfigen Tiefland gelebt haben, das bisher für unbewohnbar gehalten wurde. Der Co-Projektleiter geht davon aus, dass noch Hunderte weitere Maya-Städte auf ihre Entdeckung warten. Die beim Scannen von 2.100 Quadratkilometern Urwald gesammelte Datenmenge ist so enorm, dass Estrada-Belli glaubt: „Wir brauchen 100 Jahre, um alles, was wir da sehen, zu verarbeiten und zu verstehen.“

Dass in den dichten Wäldern noch viel zu finden ist, wussten alle Archäologen. Selbst in so gut erforschten Stätten wie Tikal werden immer wieder neue Bauten entdeckt und freigelegt. Doch die neue Technologie erlaubt es, die Wälder virtuell abzuholzen und jede Bodenerhebung abzubilden (siehe Kasten). Auch der US-amerikanische Forscher Thomas Garrison, der seit vielen Jahren im guatemaltekischen Urwald nach Überresten der Maya-Hochkultur sucht, staunte: „Ich war 2010 kaum 45 Meter entfernt und habe nichts gesehen.“

Archäologen gehen davon aus, dass die Ursprünge der Maya-Kultur um das Jahr 1500 vor Christus zu suchen sind. Es entstand eine Bauerngesellschaft, deren Ernährung auf Mais, Bohnen und Kürbis basierte. Kakao diente als Nahrungs- und Zahlungsmittel. Im Laufe der Jahrhunderte bildete sich eine differenzierte Gesellschaft heraus, mit Handwerkern, Händlern, Kriegern, Beamten und Priestern, die Hieroglyphenschriften, Kalender und Zahlensysteme entwickelten. In ihren Kenntnissen der Mathematik und Astrologie waren die Maya ihren europäischen Zeitgenossen weit überlegen. Sie beherrschten den intensiven Ackerbau mit ausgeklügelten Bewässerungssystemen, kannten aber weder das Rad noch Trag- oder Reittiere.

Den Maya auf der Spur

Die Forscher Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt ging von der guatemaltekischen Nonprofit-Organisation Pacunam aus, die vom National Center for Airborne Laser Mapping an der University of Houston technisch unterstützt wird. Insgesamt sollen 14.000 Quadratkilometer Urwald vermessen werden.

Die Technik Die Laser-basierte Lidar-Technologie (Laser Imaging Detection and Ranging) ermöglicht eine exakte Vermessung der Landschaft. Von einem Flugzeug aus werden Laserstrahlen auf die Erde projiziert und Erhebungen dargestellt. Was wie ein Hügel oder ein Felsen aussehen mag, kann von Experten als Steinbruch, Palast oder Straße identifiziert werden. Wissenschaftler sprechen von einem Wunder. (rld)

Die Städte, die wir heute als Zeugen der Hochkultur kennen, entstanden in der klassischen Periode (250–900 n. Chr.). Die Maya errichteten kein expandierendes Reich, wie etwa die Azteken, sondern waren in etwa 60 Stadtstaaten – ähnlich wie in der griechischen Antike – mit jeweils einem Gottkönig an der Spitze organisiert: von den mexikanischen Bundesstaaten Yucatán und Quintana Roo über Belize und Guatemala bis ins heutige Honduras. Einige der Großstädte, wie Tikal, lagen im dichten Urwald, andere im Hochland oder an der Karibikküste der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Den verschiedenen Göttern musste immer wieder geopfert werden. Menschenopfer waren die Ausnahme.

Sicher ist, dass die einzelnen Stadtstaaten einander bekriegten. Obwohl die Hieroglyphen seit einigen Jahren entziffert sind, weiß man noch immer wenig über den Alltag, da die Spanier, getrieben von religiösem Eifer, die Schriften – Códices genannt – verbrannten. Ein Rätsel bleibt auch der Untergang der Hochkultur im 10. Jahrhundert. Es gibt weder Hinweise auf Eroberung durch ein anderes Volk noch auf Naturkatastrophen. Eine Theorie spekuliert mit einem selbstverschuldeten ökologischen Kollaps.

Guatemala ist das einzige Land Zentralamerikas, wo die Indigenen heute noch die Bevölkerungsmehrheit stellen. Die Angaben variieren zwischen 40 und 60 Prozent der Bevölkerung, je nach Quelle. Zuverlässige Zahlen sind schwer zu bekommen, da sich in den Volkszählungen viele nicht zu ihrer ethnischen Identität bekennen. Wer in die Stadt zieht, Spanisch spricht und die traditionelle Kleidung ablegt, durchlebt einen Prozess, der als Ladinización bezeichnet wird. Ladino ist der in Guatemala gängige Begriff für Nichtindigene. Man unterscheidet nicht weniger als 21 Mayavölker, von denen die meisten auf wenige Dörfer konzentriert sind. Die vier größten sind die Quichés, die Kakchikeles, die Kekchí und die Mam.

Noch vor wenigen Jahren verstand man in Guatemala unter dem Begriff Maya die Hochkultur, die zur Zeit der Ankunft der Spanier bereits untergegangen war. Die Maya hinterließen grandiose Städte, wie Copán im heutigen Honduras oder Tikal im Norden Guatemalas. Die mestizische Bevölkerung sah keinen Widerspruch daran, für dieses kulturelle Erbe Stolz zu empfinden und gleichzeitig das indianische Hausmädchen mit Herablassung und Verachtung zu behandeln. Eben weil die Hochkultur mehr als ein halbes Jahrtausend vor der spanischen Eroberung verschwunden war, wurden die Nachfahren der alten Maya als minderwertig betrachtet. Der „Indio“ gilt bei Ladinos heute noch als dumm, faul, langsam und verschlagen.

Die Aufwertung der Maya begann mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Rigoberta Menchú vom Volk der Maya Quiché im Jahr 1992. Man feierte damals 500 Jahre spanische Eroberung, verschämt als „Begegnung zweier Welten“ neu interpretiert.

„Wir brauchen 100 Jahre, um alles, was wir da sehen, zu verarbeiten und zu verstehen“

Francisco Estrada-Belli, Archäologe

Vier Jahre später wurde ein langer bewaffneter Konflikt mit einem Friedensvertrag beendet, der ein Abkommen über die Rechte der indigenen Völker enthält. Es definiert die guatemaltekische Nation als nationale, multi­ethnische, plurikulturelle und mehrsprachige Einheit, anerkennt die Identität der Maya, Garífuna und Xinca als Völker (pueblos) innerhalb der Einheit der guatemaltekischen Nation. Ethnische und rassische Diskriminierung werden erstmals als strafrechtlicher Tatbestand anerkannt. Das gilt auch explizit für die Diskriminierung von Frauen.

Dem Abkommen war die Anerkennung der 1987 gegründeten Academia de Lenguas Mayas (ALMG) vorausgegangen. Sie ist an die Universitäten angebunden und regelt die Schriftsprachen der 21 Maya-Ethnien und soll deren Gebrauch sowie die Kultur der Maya insgesamt fördern. Rund um die ALMG hat sich eine Schicht indianischer Intellektueller und Nationalisten entwickelt, die den öffentlichen Diskurs wesentlich mitbestimmt. Das Pan-Maya-Denken ist jedoch über die Diskursebene der intellektuellen Kreise nicht hinausgekommen. Das zeigte auch der geringe Zuspruch für Rigoberta Menchú, die sich bei den Wahlen 2007 und 2011 mit wenig Erfolg um die Präsidentschaft bewarb.

Die Maya-Nationalisten lehnen Organisationen, bei denen Indigene und Ladinos sich gemeinsam für eine Sache einsetzen, ab. Sie beanspruchen die antiken Tourismusmagneten als heilige Stätten für ihre Zeremonien. Einige hängen der „Vierte-Welt-Theorie“ an. Sie besagt, dass Indigene und Ladinos grundsätzlich unterschiedlich sind. Die von der westlichen Kultur verdorbenen Menschen werden die indigene Kultur nie verstehen oder respektieren. Guatemaltekische Indios würden in dieser Vierten Welt leben und wie Bauern auf dem Schachbrett herumgeschoben werden.

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