piwik no script img

Hollistiker und Philatelist

Am Bass ein Profi, spielte er schon mit Bob Dylan und Tom Waits: Der US-Musiker Greg Cohen lebt in Wedding. Nun unterrichtet er Jazz an der Hochschule Hanns Eisler

Greg Cohen hat bei über 450 Plattenaufnahmen mitgewirkt Foto: Dovile Sermokos

Von Andreas Hartmann

Auf dem Wohnzimmerboden liegt in einer Ecke ein noch ungeöffnetes Päckchen aus den USA. „Wahrscheinlich eine CD, an deren Aufnahme ich beteiligt bin“, sagt Greg Cohen, im Berliner Wedding lebender Jazzbassist aus New York, der es sich auf seiner Couch bequem gemacht hat. Besonders heiß darauf, sich das Produkt, zu dessen Entstehung er beigetragen hat, mal näher anzusehen, scheint er nicht zu sein. Warum auch – noch eine CD mit Greg-Cohen-Credits mehr. „Inzwischen habe ich bei über 450 Plattenaufnahmen mitgewirkt“, sagt der 64-jährige Musiker.

Der Journalist Wolf Kampmann hat den Amerikaner im Tip einmal zum besten Bassisten der Welt überhaupt hochgejazzt. So weit würde der für derartige Superlative viel zu bescheidene Cohen selber sicherlich nicht gehen. Aber vielleicht ist er der vielseitigste.

Er gehört nicht nur seit vielen Jahren zum Ensemble beim Masada-Projekt des New Yorker Avantgarde-Saxofofonisten John Zorn und war immer wieder mit dem großen Free Jazzer Ornette Coleman unterwegs, sein Bassspiel war und ist auch in ganz anderen musikalischen Genres gefragt.

Auf zig Alben von Tom Waits ist er zu hören, mit Woody Allen spielte er bei dessen New Orleans Jazz Band, Bob Dylan, Keith Richards und unzählige weitere Weltstars der Pop-, Rock- und sogar Countrymusik versicherten sich seiner Dienste. Und wenn er Anekdoten über Lou raushaut, ist damit Lou Reed gemeint, sein inzwischen verstorbener Freund.

Seit sieben Jahren lebt der in Los Angeles geborene Cohen, der vor seiner Berliner Zeit in New York als Musiker tätig war, nun hier. In seiner auffallend unaufgeräumten, ziemlich zugestellten Wohnung. Überall stehen Schallplatten, CDs und Kontrabässe herum. Greg Cohen ist sichtbar auch Sammler, von Briefmarken etwa. „Ich habe das meiste über Deutschland durch die Beschäftigung mit Briefmarken gelernt“, sagt er. Vor allem aber scheinen es ihm Mineralien angetan zu haben, in allen Farben und Größen schimmern diese aus allen Ecken seiner Wohnung. „Wenn ich mich für etwas interessiere“, sagt er, „dann interessiere ich mich extrem dafür.“

Der umtriebige Jazzbassist lebt nun schon seit geraumer Zeit in dieser Weddinger Wohnung, ohne dass die Welt groß davon Notiz genommen hätte. Hautnah in die hiesige Jazzszene hat er sich bislang nicht eingebracht, auch ist nichts davon bekannt, dass sich deutsche Stars wie Herbert Grönemeyer oder Udo Lindenberg mal gedacht hatten, sie könnten ja mal Greg Cohen, der schon an der Seite von Bob Dylan gespielt hat, mit einem Jobangebot vorstellig werden, wenn er schon hier wohnt.

Stattdessen gibt Cohen Gigs wie den im letzten Dezember im kleinen Theater am Schlachthof in Friedrichshain. Vor gerade mal 20 Gästen konzertierte Cohen für ein paar Euro Handgeld mit dem jungen Pianisten Declan Forde. Die beiden spielten Standards von Duke Ellington und hatten sichtlich Vergnügen daran. Cohen machte kein Stück auf Star, sondern versuchte eher, den Nachwuchs­pianisten ein wenig mehr glänzen zu lassen. Für die lustigen Ansprachen ans Publikum dagegen war hauptsächlich er zuständig.

Der 64-Jährige ist aber auch gar nicht in Berlin, um sich hier einen noch besseren Namen als Musiker zu machen. Warum auch, was will jemand hier noch erreichen, der in den USA bereits mit John Zorn und Tom Waits spielt? Eine neue Herausforderung hatte ihn hierher gelockt: Eine Professur für Bass am Berliner Jazz-Institut, das der Universität der Künste und der Musikhochschule Hanns Eisler angeschlossen ist. „In New York habe ich die ganze Zeit als Musiker gearbeitet“, sagt Cohen. Nun gibt er Unterricht an der Hochschule und an den Wochen­enden reist er hin und wieder für Gigs durch die Welt.

Tatsächlich sei er „wegen der Liebe zur Musik nach Berlin gekommen“, sagt er. Zu oft habe er erlebt, dass in New York selbst die Größten des Jazz, alte Haudegen, die schon für Miles Davis und Konsorten gespielt hatten, irgendwann verbittert waren. Mit Jazz werden schließlich nur die allerwenigsten reich, unzählige Künstler mögen echte Legenden sein, nicht selten sterben sie arm und halb vergessen. Um nicht irgendwann auch darüber zu fluchen, Gigs annehmen zu müssen, bloß damit das Geld für die nächste Miete reinkommt, was der Liebe zur Musik sicherlich nicht zuträglich ist, habe Cohen nun eben den Schwerpunkt seiner Tätigkeit verlagert.

Wenn er Anekdoten über Lou raushaut, ist damit Lou Reed gemeint, sein inzwischen verstorbener Freund

Aber auch, weil die Arbeit am Institut ihm einfach Spaß mache. „Ich habe Freude daran, anderen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit als Musiker zu helfen“, sagt er. Außerdem sei es ihm ein Anliegen, seine eigenen Vorstellungen von Musik im Allgemeinen und von Jazz im Speziellen weitergeben zu können. Viele seiner Studenten würden zwar Jazz studieren, haben aber musikalisch eigentlich ganz andere Interessen. Denen helfe es sicher, wenn der Jazzprofessor auch etwas von anderen Musikgenres verstehe. Außerdem wird seiner Ansicht nach an Jazz-Instituten sich zu sehr auf die für die Entwicklung des amtlichen Jazzsounds als am wichtigsten angesehenen Dekaden der Fünfziger und Sechziger konzentriert. Da wolle er das Spektrum erweitern.

Er sei Holistiker, sagt er, und demnach nicht nur an Epochen interessiert, sondern am großen Ganzen. Wie zum Beweis dudelt die ganze Zeit, während er spricht, leise Musik von King Oliver vor sich hin, einem der Urväter des traditionellen New-Orleans-Jazz, der heute viel zu selten wirklich gewürdigt wird.

In diesem Jahr wird Greg Cohen 65 Jahre alt, für das Berliner Jazz-Institut erreicht er damit das offizielle Rentenalter. Ob er dennoch für eine Weile weiter am Institut bleibe, wisse er noch nicht. Auch nicht, wohin es ihn ziehen werde, falls es bald mit der Professur zu Ende ginge.

„Ich habe zwei Kinder in Los Angeles“, sagt er, „viele Freunde in San Francisco und New Orleans“ und natürlich seine Musiker-Kumpels in New York, jede Menge Optionen also. Berlin gefalle ihm aber eigentlich auch ganz gut. Vielleicht bleibt er ja auch hier, und Herbert Grönemeyer ruft doch irgendwann mal an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen