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Frau ohne Kind

Rebecca Solnit sorgte mit ihren feministischen Essays weltweit für Furore. Ihr neues Buch ist gewohnt scharfsinnig und humorvoll

Von Shirin Sojitrawalla

Kevin Spacey kommt nicht vor, und zwar allein deswegen, weil das Buch schon fertig war, als die Vorwürfe gegen ihn manifest wurden. Natürlich hat sich die US-amerikanische Autorin Rebecca Solnit inzwischen längst auch zu diesem Fall und anderen der aktuellen Debatte geäußert. In ihrem neuesten Buch „Die Mutter aller Fragen“ indes ist es das Jahr 2014, das sie gedanklich auf Trab hält.

Damals verletzte ein 22 Jahre alter Frauenfeind im kalifornischen Isla Vista dreizehn Menschen, massakrierte sechs und schließlich auch sich selbst. Im selben Jahr wurde ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie ein bekannter American-Football-Spieler seine Verlobte im Aufzug bewusstlos schlägt. Ebenfalls 2014 mehrten sich Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen den kanadischen Radiomoderator Jian Ghomeshi, und die seit Langem kursierenden Anklagen gegen den Entertainer Bill Cosby erreichten einen weiteren Höhepunkt.

Für Rebecca Solnit, die Nimmermüde im Kampf gegen Verkrustungen aller Art, ist es ein entscheidendes Jahr, weil Gewalt gegen Frauen endlich breit und öffentlich diskutiert wurde. Zum Erscheinen ihres neuen Buchs hätte sie sich also kein besseres Jahr als 2017 denken können, befinden wir uns doch wieder mitten in einer Debatte und zahlreichen Hashtags, die sich der sexuellen Belästigung widmen. Dabei dreht sich der Essay, mit dem das neue Buch beginnt und der ihm auch seinen Titel gibt, um etwas ganz anderes. „Die Mutter aller Fragen“ ist nämlich die nach den Kindern beziehungsweise die nach keinen: „Warum haben Sie keine Kinder?“

Der Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel weist in seinem Essay „Kinderlosigkeit“ aus dem Jahr 2004 richtig darauf hin, dass die Frage nach Kindern, wenn man keine hat, von einer oberflächlichen Konversationsfrage zu einer der äußersten Intimität und Zudringlichkeit wird, allein deswegen, weil die Gründe für die Kinderlosigkeit danach meist unausgesprochen im Raum stehen wie eine Verdächtigung.

Rebecca Solnit rät, einfach zu kontern: „Warum fragen Sie mich das?“ Richtig befriedigend ist das nicht, wie überhaupt die Schlüsse, die Solnit in diesem Essay zieht, oft nur kurz greifen. Ihrer Meinung nach gibt es schlicht keine gute Antwort darauf, wie man als Frau zu sein hat, weswegen sie schlussfolgert, dass die Kunst vielleicht eher darin liege, wie wir Frauen solche Fragen zurückweisen. Auch wenn die „Mutter aller Fragen“ den Essay-Reigen eröffnet sowie den Titel des Buchs ziert, ist es nicht das Thema, das Solnit im neuen Buch hauptsächlich beschäftigt. Denn dies ist das Schweigen und Reden über sexuelle Gewalt. Ein Thema, dem sie mit nicht nachlassender Empörung und viel Kampfeswillen begegnet. Heftig plädiert die 1961 geborene Autorin und Aktivistin dafür, die Männer nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Schließlich sei häusliche Gewalt in den Vereinigten Staaten die Hauptursache für Körperverletzungen bei 15 bis 44 Jahre alten Frauen. Solnit wartet mit vielen niederschmetternden Erkenntnissen auf. Doch sie sieht Zeichen der Besserung, gerade auch wegen der zunehmenden prominenten Fälle, die ihrer Meinung nach ein wichtiges Signal aussenden: „Das Zeitalter der Straffreiheit ist vorbei.“

Rebecca Solnit: „Die Mutter aller Fragen“. Tempo-­Verlag, Hamburg 2017, 320 Seiten, 20 Euro

Solnit gelingt es dabei, Wahrheiten sprachlich schlicht auf den Punkt zu bringen. Das ist durchaus als Kompliment gemeint, weil hier jemand wirklich allgemeinverständlich denkt und schreibt, also schon sprachlich die Enge der eigenen Klasse verlässt. Mit ihren kurzweiligen Essays gelingt ihr wie nebenbei ein mitreißendes Plädoyer für die Wandelbarkeit unserer Vorstellungen. Und diejenigen, die zuweilen der Gedanke beschleicht, mit dieser Frau sei bei ihren Themen wirklich nicht zu scherzen, überrascht sie mit, Achtung!, lustigen Vergewaltigungswitzen. Dann wieder argumentiert sie recht schematisch, schlägt sich immer auf die Seite der Frauen und verbannt Nabokovs „Lolita“ auf die Liste der Bücher, die keine Frau lesen sollte.

Daneben finden sich hinreißende Trouvaillen wie das Lewis’sche Gesetz, das besagt, dass „Die Kommentare zu jedem Artikel über Feminismus den Feminismus rechtfertigen“, oder ein bedenkenswerter Ausspruch des Komikers Jay Leno: „Ich frage mich, warum es uns so schwer fällt, Frauen zu glauben. In Saudi-Arabien müssen immer mindestens zwei Frauen gegen einen Mann aussagen. Hierzulande müssen es fünfundzwanzig sein.“

Schönerweise wird Rebecca Solnit in Deutschland gerade wieder neu entdeckt. Gleichzeitig mit dem Buch „Die Mutter aller Fragen“ erscheint im Tempo-Verlag auch noch ihr berühmter Essayband „Wenn Männer mir die Welt erklären“ um zwei weitere Texte erweitert. Und fürs Frühjahr kündigt der Verlag Matthes & Seitz Solnits schon im Jahr 2000 erschienene Würdigung des Gehens in all seinen Ausformungen unter dem schönen Originaltitel „Wanderlust“ an. Fazit: Es geht voran.

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