: Brauchen wir eine andere Schule?
In der Reformschule der Sängerin Nena in Hamburg bestimmen Kinder selbst, was sie lernen wollen. Wäre es nicht gut, wenn sich auch reguläre Schulen solchen Ideen öffnen würden? Oder ist Schule sowieso keine Lösung? Das denken Eltern in Hamburg, die ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen schwerpunkt 43–45
Von Kaija Kutter
Auch ohne Schule im herkömmlichen Sinn gibt es Abschlüsse. Auch Kinder, die frei lernen, kommen später im Leben zurecht und finden Berufe. Diese Vorstellung ist für uns sehr ungewohnt. Denn in Deutschland gilt Schulpflicht. Die Schule ist die Sozialisationsinstanz, da werden wir groß, da finden wir Freunde, bereiten uns aufs Leben vor.
Darf man die Schulpflicht infrage stellen? Eine Gruppe von Eltern tut dies und artikuliert sich in Hamburg verhalten öffentlich. Dahinter stecken Einzelschicksale, ein Leidensdruck, weil Kinder mit der Schule so, wie sie ist, nicht zurechtkommen.
Die sogenannten Unschooler oder Freilerner benennen einen wichtigen Punkt: Kinder kommen mit Freude in die Schule, haben Lust am Lernen, doch diese wird ihnen dort ausgetrieben. Schule ist halt kein Zuckerschlecken, so die typisch deutsche Einstellung. Wiederholung und Disziplin muss sein. Doch es geht auch anders: In anderen Ländern können Eltern ihre Kindern unter Auflagen zu Hause lernen lassen.
Die meisten würden das weder schaffen noch wollen. Die Abschaffung der Schulpflicht wäre für Kinder, die den Rahmen der Institution Schule brauchen, eine Katastrophe. Es fehlte die gesellschaftliche Instanz, die über das Wohlergehen der Kinder wacht, dafür bräuchte es einen Ersatz.
Dennoch ist es sinnvoll, einmal die Ursachen anzuschauen: Warum verlieren Kinder die Lust am Lernen und warum spitzen sich manche Fälle so zu?
Schulen haben nicht nur immer noch zu große Klassen. Mancherorts weht offenbar seit einigen Jahren wieder ein strengerer Wind. Die Erziehungswissenschaftler Birgit Herz und Sven Heuer sprechen von einer „Pädagogik der Beschämung“ und einer neuen „Strafkultur“. Nach dem Motto „Schule ist kein Wohlfühlort“ werden Lehrern konsequente Regeln nahegelegt. In dem Konzept einer Schule, das der taz vorliegt, erhalten Schüler sogar einen Vermerk, wenn sie nicht auf Signal des Lehrers den Stift ablegen und nach vorn schauen.
Es sind durchaus auch Kinder aus bildungsnahen Familien, die aus der Rolle fallen. Neu ist, dass Eltern den Zwang problematisieren. Die heutige Schule, sagen die Mitglieder der Hamburger Freilern-Initiative, gebe ihren Kindern nicht den Raum, den sie brauchen. Sie zur Schule zu zwingen, verstoße gegen das Gewaltverbot in der Erziehung. Diese Eltern wollen den Willen ihrer Kinder akzeptieren und sie nicht als krank definieren. Für solche Einzelfälle müssten sich Lösungen finden lassen.
Die Hamburger Eltern wehren sich auch gegen die Wettbewerbs- und Verwertungslogik, die an Schulen herrscht. Es handelt sich hier um kritische Töne aus dem alternativen Milieu. Hier rächt sich auch, dass die Gymnasiallobby in Hamburg mit dem Volksentscheid von 2010 die grüne Schulreform beiseite fegte und die Idee einer neuen Lernkultur so in den Hintergrund geriet. Offiziell wird die Qualität von Schule in Hamburg nur noch über Mathe-Ergebnisse in Pisa-Rankings kommuniziert.
Dabei gibt es auch staatliche Schulen, die neue Wege gehen. Die für den Schulpreis nominierte Stadtteilschule Winterhude zum Beispiel will ein „natürliches Lernen“ ermöglichen und setzt bewusst auf Altersmischung und Projektarbeit.
Auch an der Neuen Schule von Sängerin Nena nimmt man diese Fragen sehr ernst. Die Kinder machen das, was sie interessiert, und meistern gemeinsam den Alltag. Schule kann auch heißen, dass man lernt, wie man demokratisch miteinander umgeht und sich Regeln setzt, die im Alltag einen Sinn ergeben. Jahrelang galt Nenas Neue Schule als Exot, nun zeigt sich, dass sie vielleicht doch etwas richtig macht – nachzulesen ist das in einem Buch, das zum Zehnjährigen erschienen ist.
Solche Schulen sind zwar für die Unschooler keine Lösung, weil eben immer noch Schulen, doch sie erhöhen die Vielfalt und helfen, Machtverhältnisse zu hinterfragen: Wenn Regeln für alle gelten, muss auch der Lehrer, der zu spät kommt, zur Strafe draußen bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen