Mögliche Karrieren beim Ankommen

Qualifizierte Arbeit gesucht und auch gefunden – bei einem neuen Erzählsalon des Willkommenszentrums Berlin sprechen zugewanderte Frauen von ihren Erfahrungen

Sie haben’s geschafft: Joanna Bronowicka, Lina Alhaddad und Moderatorin Ferda Ataman (von links) beim Erzählsalon Foto: Wolfgang Borrs

Von Uta Schleiermacher

Lina Alhaddad hat viel geschafft. Die junge Frau aus Syrien ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität und schreibt dort ihre Doktorarbeit über junge Geflüchtete in Berlin. In Syrien und Japan hatte sie davor Psychologie studiert. 2015 kam sie mit einem Sprachkursvisum nach Deutschland. „Ich dachte damals, dass ich mit meinen Qualifikationen hier genau richtig bin und helfen kann“, erzählt sie am Mittwochabend beim Auftakt eines Erzählsalons über Möglichkeiten und Probleme für zugewanderte Frauen, in Berlin Arbeit zu finden.

Und zwar nicht nur irgendeinen Job, sondern eine Arbeit, die ihrer Ausbildung und ihren Interessen entspricht. „Nach Syrien konnte ich nicht zurück, und in Japan habe ich keine Zukunft für mich gesehen“, sagt Alhaddad. „Aber es war nicht leicht, in den wenigen Monaten die ich mit dem Sprachkurs­visum hatte, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen und meinen Aufenthalt zu sichern.“

Alhaddad erzählt zum Beispiel von einem Angebot über die Charité, eine syrische Familie psychologisch zu betreuen. „Ich hatte noch keine Arbeitserlaubnis, und sie haben mir vorgeschlagen, dass ich es unentgeltlich mache. Ich dachte sogar, toll, bei der Charité, das ist meine Chance. Ich war froh, irgendetwas zu haben.“ Viele seien zuerst dankbar für alles, was sich anböte, sagt sie. „Aber Dankbarkeit ist nicht hilfreich“, sie könne zu Selbstausbeutung führen und zu einem minderen Selbstwertgefühl.

„Statt mich für nichts arbeiten zu lassen, hätten sie mir helfen können, die nötige Arbeitserlaubnis zu bekommen. Aber das habe ich erst später gemerkt“, sagt Alhaddad. Weitergebracht hätten sie andere Jobs. Die Arbeit als Sprachmittlerin und in der schulpsychologischen Beratung zum Beispiel. „Ich hatte oft Glück, im richtigen Moment die richtige Person zu treffen“, sagt sie. „Deshalb sind Kontakte und Netzwerke für uns so wichtig. Das Leben in Heimen ist darum gerade für geflüchtete Frauen sehr schädlich.“

Joanna Bronowicka aus Polen, ebenfalls Akademikerin, die neben Alhaddad auf dem Podium sitzt, stimmt ihr zu. „Ich teile viel mehr Erfahrungen mit denjenigen, die – wie ich – vor vier, fünf Jahren nach Berlin gekommen sind, als mit den Polen, die schon fünfzehn Jahre hier leben. Auch mit Geflüchteten habe ich viel gemeinsam“, sagt sie. „Obwohl ich natürlich weiß, dass für mich als EU-Bürgerin vieles einfacher ist.“

Auch deshalb war es für beide nicht immer günstig, dass einige Beratungsangebote sich ausdrücklich nur an Geflüchtete richten. „Ich komme aus Syrien, habe aber ohne Asylantrag einen anderen Status. Das war oft kompliziert“, sagt Alhaddad. „Da wäre es besser, uns alle als Newcomer zu sehen.“

Beratung habe beiden geholfen. Alhaddad hat gelernt, dass sie es nicht akzeptieren muss, wenn sie im Vorstellungsgespräch nach ihrer Religion gefragt wird. Bronowicka hat dank eines Kurses Steuern und Krankenversicherung als Selbstständige in den Griff gekriegt. „Dabei dachte ich anfangs, dass ich als Polin eh keine Beratung brauche“, sagt sie. „Allerdings wäre es noch besser, wenn sich Beratungsangebote mehr auf ein digitales Umfeld und die neuen Medien einlassen würden.“

In gelber Kulisse

Erzählsalon Unter dem Titel „Arbeiten in Berlin: Wir haben es geschafft. Zugewanderte Frauen erzählen“ laden das Willkommenszentrum Berlin und die Beratungseinrichtung Kobra zu einem Erzählsalon. Jeweils zwei Frauen erzählen, welche Probleme sie hatten und was ihnen dabei geholfen hat, beruflich in Berlin anzukommen – und dabei eine Arbeit zu finden, die ihrer Ausbildung und ihren Interessen entspricht.

Termine Bei den folgenden Runden geht es um Journalismus (14. Februar), Erziehung und Lehre (14. März), Kunst und Grafik (11. April) sowie Pflege und Medizin (9. Mai), jeweils ab 18 Uhr. Der Erzählsalon findet im Willkommenszentrum in der Potsdamer Straße 65 statt. Anmeldung unter willkommenszentrum@intmig.berlin.de

Die Abende der neuen Veranstaltungsreihe, bei denen Migrantinnen von ihren Erfahrungen bei der Arbeitssuche berichten, finden einmal im Monat im Willkommenszentrum in Schöneberg statt. Über persönliche Geschichten, so die Idee des Erzählsalons, sind mehr Frauen zu erreichen und zu ermutigen als mit Broschüren und Statistiken. Für die Salon-Atmosphäre soll die – ganz in Gelb gehaltene – Wohnzimmerkulisse sorgen.

Zum ersten Abend sind viele MitarbeiterInnen von Beratungsstellen gekommen. Auch für sie gab es etwas dazuzulernen, sagt eine von ihnen. „Bei den beiden erfolgreichen Karrierefrauen heute dachte ich erst, was sie wohl groß zu erzählen haben. Dass beide über viele kleine Hürden gesprochen haben, hat mir gezeigt, wie schwierig es ist und wie viel schwieriger es wird, wenn auch noch kleine Kinder oder Probleme bei der Anerkennung von Abschlüssen dazukommen.“

Eine weitere Erkenntnis gab es für die Veranstalter schon bei der Planung: Die Migrantinnen brauchen oft mehr Zeit und Geduld als gedacht, um auf dem Arbeitsmarkt wirklich in ihrem Beruf anzukommen. Sie hatten erst überlegt, Frauen einzuladen, die höchstens sieben Jahre in Berlin sind. „Wir wollen ja die Beratungsstellen und Strukturen bekannt machen, die es heute gibt, nicht das, was es vor 15 Jahren gab“, begründet Rosaria Chirico von der Beratungsstelle Kobra ihre Überlegung. „Doch wir haben es nicht geschafft, diese Regel einzuhalten“, sagt sie. „Offensichtlich dauert es doch länger.“

„Ich nehme vom heutigen Abend mit, dass es mehr Hindernisse auf einer feinen Ebene gibt, als wir gemeinhin merken“, sagt Andreas Germershausen, Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration, der den Abend eröffnet hatte. „Ich hoffe, dass dank der Willkommenskultur in Berlin die Übergänge in Zukunft schneller gehen.“ Die Zeit der langen Arbeitsverbote sei zum Glück vorbei, meint er. „Die Erzählungen haben mir gezeigt, wie dringend wir ein offensives Einwanderungsgesetz brauchen.“