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Stefan Alberti ist fasziniert von der Leidensbereitschaft Hunderter für ein Paar BVG-Schuhe mit JahreskarteVon Sammlern und Spekulanten

Seit drei Uhr sei er hier, sagt Joe O’Connor an diesem nasskalten Dienstagmorgen. In der nordöstlichen Ecke von Kreuzberg, vor einem Sportbekleidungsladen am Schlesischen Tor. Was, schon seit drei Uhr in der Früh? Nein, nein, sagt Joe, drei Uhr am Montagnachmittag.

Und damit war Joe bei Weitem nicht der Erste, der sich hier für den neuesten Werbegag der landeseigenen Verkehrsbetriebe BVG angestellt hat, einen Markensportschuh mit eingearbeiteter Jahreskarte. Auf Platz 256 steht er auf einer Warteliste des Ladenchefs. Damit ist zumindest klar, dass sich für ihn das Ausharren lohnt: Rund 300 Paar Schuhe soll es hier ab 11 Uhr geben. Hinter Joes Namen stehen weitere 250 auf der Liste. Die meisten von ihnen können nur aufs Nachrücken hoffen.

„Seit wann ist der hier? Seit gestern?“ Jürgen lächelt müde. Seit drei Tagen parke er mit seinem Mercedes mit Erkelenzer Kennzeichen direkt vor dem Laden, sagt er. Das ist zwar auf Dauer auch nicht gerade bequem, aber noch um einiges komfortabler, als auf der anderen Straßenseite im Zelt zu campieren, wie es der Blonde gemacht hat, der schon am Sonntagabend herkam.

Joe aus Boston will die Schuhe tatsächlich als BVG-Karte nutzen, bis jetzt hat er eine Monatskarte. Die kostet jeweils 81 Euro – der Schuh samt Karte fürs ganze restliche Jahr 2018 nur 180 Euro. Doch damit ist er nach unrepräsentativer Umfrage in der Minderheit. „Sofort weiter verkaufen“, erzählt eine Gruppe von vier jungen Männern. Bei 1.000 Euro liege inoffiziell der Preis. Dafür müsse mancher einen Monat arbeiten, da könne man hier schon mal zwei Tage anstehen.

Einer zumindest habe zu hoch gepokert, erzählen andere: Der habe schon am Vortag den Schuh bei einem Online-Auktionshaus für 2.000 Euro angeboten. Das bekam allerdings auch der Ladenchef mit – und strich ihn beim nächsten Listenaufruf von der Warteliste. Die Kontrollen sollten sicherstellen, dass tatsächlich die belohnt werden, die nonstop ausharren.

11.23 Uhr ist es am Dienstagmorgen, als ein Mann mit roter Kappe – Frauen gibt es in der wartenden Menge nur wenige – als Erster mit einem Schuhkarton im BVG-Sitzmuster aus dem Geschäft kommt und ihn vor Fotografen und Kameraleuten in die Höhe reckt. Das Ganze läuft geordnet ab, zwei Polizisten halten die Straße frei. Einem schwant Böses: Lange werde mancher die Dinger nicht an den Füßen haben, die könnten schnell geraubt werden.

Im Netz ist das Höchstgebot drei Stunden später mit 700 Euro noch deutlich unter den erhofften 1.000 Euro, sogar unter dem Jahreskartenpreis von 761 Euro (da ist allerdings die S-Bahn mit drin). Plötzlich ist das Angebot weg, dafür steht ein neues drauf, mit „Sofort-Kauf“ – für 5.000 Euro.

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