die woche in berlin
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Neue Sozialpolitik: Künftig sollen alle Obdachlosen untergebracht und beraten werden, Berlinpass-Bezieher brauchen für diesen keinen Antrag mehr zu stellen. Ein rechter Lehrer wirft Fragen zur Neutralität von Schule auf, und Friedrichshain-Kreuzberg sollte in der geräumten Gerhart-Hauptmann-Schule nun endlich das lange geplante Flüchtlingszentrum einrichten

Jeder hat ein Recht auf Hilfe

Konferenz für Wohnungslosenhilfe

Eigentlich ist es ganz einfach: Obdachlosigkeit verletzt viele Grund- und Menschenrechte, etwa jene auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Würde. In Deutschland sind daher die Kommunen, in Berlin die Bezirke gesetzlich verpflichtet, unfreiwillig Wohnungslose unterzubringen. Dies gilt für jede und jeden, ungeachtet der Nationalität und Herkunft.

Dennoch musste diese Selbstverständlichkeit von den Teilnehmern der 1. Berliner Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe am Mittwoch ausdrücklich bekräftigt werden. Zu sehr war der vermeintliche Konsens in letzter Zeit von verschiedenen Seiten hinterfragt worden. Etwa von Bezirken, die große Schwierigkeiten haben, die vielen Bedürftigen unterzubringen und bisweilen versuchen, sie mit fragwürdigen Argumenten abzuwimmeln. Oder von Bürgermeistern, die wohnungslose EU-Bürger am liebsten einfach abschieben würden. Oder von Medienvertretern, die gerne mal vor einer „Sogwirkung“ warnen, weil es Wohnungslosen in Berlin angeblich so gut geht, dass sie von überall her angezogen würden.

Ihnen allen haben die rund 200 TeilnehmerInnen der Konferenz ein klares Bekenntnis entgegengestellt: Wir helfen jedem, der Hilfe braucht und sie annehmen möchte. Zu Recht sagte Caritas-Chefin Ulrike Kostka im Anschluss, dies mache sie „stolz“.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht um die reine Notversorgung – nicht darum, dass nun jeder (auch jeder Ausländer) das Recht auf dauerhafte Unterbringung „auf Staatskosten“ hat. Auch um das zu klären, sollen die Notunterkünfte so weiterentwickelt werden, dass dort alle Bedürftigen eine spezifische Beratung bekommen. An deren Ende könne durchaus stehen, dass ein Bedürftiger aus, sagen wir, Polen, hier keinen Rechtsanspruch auf Hilfen hat – außer Geld für eine Rückfahrkarte, erklärte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).

Diese Weiterentwicklung der Notübernachtung zur Übernachtung mit Beratung (ASOGplus genannt) sei ein „ganz bescheidenes Ziel“, gab Diakonie-Direktorin Barbara Eschen zu. Eigentlich müsse es natürlich darum gehen, Wohnungslosigkeit ganz zu vermeiden. Da dies aktuell aber illusorisch sei, sei schon die Übergangslösung eine Verbesserung. Womit sie leider auch Recht hat.

Susanne Memarnia

Aufreger macht Schule

Rechter Lehrer vom Dienst suspendiert

Es war der Aufreger der Woche: Ein Weddinger Grundschullehrer betreibt in seiner Freizeit einen YouTube-Kanal namens „Der Volkslehrer“. Rund 6.500 Menschen hören und sehen Nikolai N. dort regelmäßig zu, wie er antiamerikanische Verschwörungstheorien über den Terroranschlag am 11. September 2001 verbreitet oder eine Gedenkminute auf dem Evangelischen Kirchentag für die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge mit Zwischenrufen stört. Der Mann soll auf Demos den Holocaust geleugnet haben und mit der teils rechtsextremen Reichsbürgerszene sympathisieren. Die Senatsbildungsverwaltung erstattete zu Wochenbeginn Anzeige, N. ist inzwischen vom Dienst freigestellt.

Darf der das?, fragten sich alle. Und: Warum hat keiner früher etwas unternommen, wo die Videos doch schon seit Monaten online sind und N. der Schulaufsicht auch bereits als problematischer Fall bekannt war?

Die erste Frage ist schnell beantwortet: Wer den Holocaust leugnet, begeht eine Straftat. Kann ein Gericht N. dies nachweisen, wäre das ein Kündigungsgrund.

Die zweite Frage ist berechtigt, die Antwort vermutlich schlicht: Weil der öffentliche Druck fehlte und das Thema unbequem ist. Doch wenn Schule ein Spiegel der Gesellschaft ist, muss man annehmen, dass N. nicht die einzige Lehrkraft ist, die rechtem Gedankengut anhängt.

Die spannendste Frage über den Fall N. hinaus bleibt also: Wie damit umgehen, wenn eine Lehrkraft sich nicht an das für Landesbedienstete obligatorische Mäßigungsgebot – Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung – hält, das für Beamte und Angestellte gilt? Wie geht man mit Rechtspopulismus im Lehrerzimmer um, der angesichts des Erfolgs der AfD auch dort eine Rolle spielen muss? Eine Frage, auf die eine gesamtgesellschaftliche Antwort nötig ist.

Anna Klöpper

Wenn Schule ein Spiegel der Gesellschaft ist, muss man annehmen, dass N. nicht die einzige Lehrkraft ist, die rechtem Gedankengut anhängt

Anna Klöpper über den Fall eines rechtsradikalen Lehrers

Das Ende der Bittstellerei

Der Berlinpass wird künftig zugeschickt

Dass der Anspruchskreis für Empfänger des Berlinpasses ausgeweitet wird, wie die rot-rot-grüne Koalition diese Woche beschlossen hat, ist eine gute Nachricht. Auch wenn damit die weit verbreitete Armut in der Stadt sichtbar wird. Zu den bislang 550.000 erwachsenen BerlinerInnen, denen aufgrund ihres geringen Einkommens schon bisher die Chipkarte mit der Unterzeile „Öffne Dir die Stadt“ zustand, gesellen sich nun weitere fast 33.000 Menschen. Sie sind EmpfängerInnen von Wohngeld oder der SED-Opfer-Rente.

Diese Ausweitung ist das, was man von linker Sozialpolitik erwarten kann. Und von grüner: Denn der Berlinpass ermöglicht nicht nur den verbilligten Eintritt in Museen, Bibliotheken oder Bäder. Er ist auch Voraussetzung dafür, das Sozialticket für Bus und Bahn zu erwerben. Dessen Preis hat die Koalition bereits auf 27,50 Euro monatlich reduziert. Auch armen Menschen wird damit Mobilität in der Stadt ermöglicht.

Alle neuen Berechtigten sollen bald ein Informationsschreiben erhalten, das sie über ihre Ansprüche in Kenntnis setzen soll. Wirklich bemerkenswert an dem Senatsbeschluss ist jedoch etwas anderes: Zukünftig ist geplant, den Berlinpass allen Berechtigten einfach zuzuschicken – ohne vorherige Beantragung. Niemand muss dann mehr aufs Amt, um etwas zu bekommen, was ihm oder ihr sowieso zusteht. Die Bittstellerei entfällt. Das ist ein Paradigmenwechsel.

Der lässt sich auch in anderen Bereichen beobachten. Die Bedarfsprüfung für Kitaplätze bis zu sieben Stunden täglich ist schon weg, jene für Hortplätze wird folgen. Beschlossen ist auch die Lehrmittelfreiheit. Vorbei ist ab nächstem Schuljahr die Zeit, als Eltern ihren Hartz-IV-Bezug nachweisen mussten, um nicht 100 Euro im Jahr für Schulbücher zu zahlen.

Diese Form der Sozialpolitik, die weggeht vom SPD-Mantra des „Förderns und Forderns“ – also des Kontrollieren und Strafens – ist wichtig und richtig. Auch weil sie einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt hat: Jede Bedarfsprüfung, die wegfällt, jeder vermiedene Gang ins Bürgeramt entlastet die Behörden und schafft in den immer noch überlasteten Ämtern dringend notwendige Kapazi­täten. Erik Peter

Jetzt ist der Bezirk unter Zugzwang

Die Hauptmann-Schule ist nicht mehr besetzt

Es war ein langes Ringen: Im Sommer 2014 versuchte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erstmals, die bis dato rund anderthalb Jahre besetzte ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule leerzuziehen. Ein Teil der AktivistInnen erstritt sich damals das Recht, im Südflügel des Gebäudes wohnen zu bleiben. Anschließende Versuche des Bezirks, die Schule ohne Räumungstitel zu leeren, wurden von Gerichten kassiert. Im letzten Sommer schließlich erwirkte der Bezirk auf zivilrechtlichem Wege einen Titel. Die für diesen Donnerstag angesetzte Räumung musste nicht stattfinden: Die verbliebenen zwölf Besetzer waren bereits freiwillig gegangen.

Damit ist der Weg nun frei für die Pläne des Bezirks, in diesem Teil des Gebäudes ein Beratungszentrum für Flüchtlinge einzurichten. Allerdings: Wie dieses Zentrum aussehen, wer Träger wird und wann es eröffnen soll, ist bisher nicht bekannt. Und es darf schon verwundern, was Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Tag der Räumung im Abgeordnetenhaus sagte, als er auf die künftige Nutzung des Gebäudes angesprochen wurde: Angesichts des Mangels an Schul- und Kitaplätzen in Berlin, so der Senator, würde sich ein ehemaliges Schulgebäude doch für eine solche Nutzung anbieten.

Dazu muss man wissen, dass der Bezirk erst im letzten Jahr endgültig festschrieb, dass die ehemalige Schule definitiv nicht mehr als Bildungseinrichtung genutzt werden soll. Es wirft kein gutes Licht auf die Absprachen zwischen Senat und Bezirk, dass der Senator diese Option jetzt wieder ins Spiel bringt. Und es lässt ahnen, dass die Pläne für ein Beratungszentrum wohl noch nicht weit gediehen sind.

Das gilt offenbar auch für den Plan, die Notunterkunft im Nordflügel des Hauses in eine Gemeinschaftsunterkunft umzuwandeln. Dabei hörte es sich zur Eröffnung von Seiten des Bezirks noch so an, als stünde dieser Schritt kurz bevor. Es mag sein, dass bei den Plänen zur künftigen Nutzung mehrere Akteure eine Rolle spielen. Doch wenn der Bezirk seine Ankündigungen nicht bald umsetzt, steht er noch unglaubwürdiger da, als es während der gesamten Auseinandersetzung um die Schule bereits der Fall war.

Malene Gürgen