Mit Sorgfalt und Passion

FILME FÖRDERN Wie fördert man Filme in Afrika oder Asien, die nicht nur das internationale Festivalpublikum, sondern auch heimische Zuschauer zu schätzen wissen? Der World Cinema Fund zeigt Filme, denen beides gelingt

Es gäbe Filme wie „Independencia“ nicht, sprängen Förderinstitutionen des Westens nicht ein

VON EKKEHARD KNÖRER

Eine Geschichte aus dem frühen 20. Jahrhundert: Ein junger Mann und seine Mutter fliehen vor den Kriegswirren auf den Philippinen in eine Hütte im Wald. Sie richten sich dort ein, eine junge Frau stößt zu ihnen. Man sieht die drei bei alltäglichen Verrichtungen, bis die Mutter stirbt. Sie wird vom Sohn und der jungen Frau begraben. Die beiden sind ein Paar, bekommen ein Kind. Erste Zeichen deuten auf die Ankunft der Amerikaner, die gewaltsam in das Land eingedrungen sind.

„Independencia“, gedreht vom gerade erst 24-jährigen Raya Martin, ist etwas ganz anderes als nur ein Historienfilm in Schwarzweiß. Er erfindet der philippinischen Filmgeschichte nachträglich einen neuen Anfang: „Independencia“ imitiert einen Stummfilm und ist komplett im Studio gedreht, was man an den gemalten Hintergründen jeder Einstellung deutlich erkennt. Es handelt sich um eine artifizielle und kluge filmische Vergangenheitsinstallation, die die Geschichte des Mediums und die politische Landesgeschichte zu einem irritierenden schönen Vexierbild sozusagen doppelt belichtet.

„Independencia“ war ein großer Erfolg auf den Festivals dieser Welt und steht exemplarisch für ein im Filmkunstgeschäft inzwischen allgegenwärtiges Paradox. Er ist einerseits ganz konzentriert auf eine nationale (Film-)Geschichte und sucht die subtile Reflexion auf Zusammenhänge, die sich dem Außenstehenden nicht ohne Weiteres erschließen. In der künstlerischen Darstellung, die Regisseur Raya Martin wählt, findet er den Anschluss an avancierte Formsprachen und Darstellungsweisen. Das führt dazu, dass er sehr viel eher auf westlichen Festivals als in den Kinos seiner Heimat ein Publikum findet. Das wiederum heißt: Es gäbe Filme wie „Independencia“ nicht, sprängen nicht Förderinstitutionen des Westens hier ein.

An dieser Stelle kommt der World Cinema Fund (WCF) ins Bild. Gegründet vor fünf Jahren im Zug jener meist eher penetranten Initiativen, mit denen Berlinale-Chef Dieter Kosslick das Festival auf Vordermann bringen will. Als Funktionär stellt Kosslick sich seine Berlinale vor als eierlegende Weltniveau-Wollmilchsau: Neben den drei Sektionen Forum, Wettbewerb, Panorama wird der Markt immer größer, auch der Nachwuchsförderungsbetrieb der Berlinale wächst. Mit dem WCF wurde das Festival auch noch zum Filmproduzenten. So weit die kritische Perspektive. Sobald man vorurteilsfrei hinguckt, muss man allerdings feststellen: Der WCF – und das sind neben der Auswahljury vor allem Vincenzo Bugno und Sonja Heinen – macht seinen Job im Rahmen des Möglichen richtig gut.

Er hat vergleichsweise lächerlich wenig Geld, das dann auch noch, der nationalistischen Förderlogik deutscher Institutionen (Bundeskulturstiftung, Goethe-Institut) entsprechend, auf dem Umweg über deutsche Koproduzenten in der Förderregion eingesetzt werden muss. Die WCF-Regionen wiederum sind so gewählt, dass die geringen Summen überhaupt etwas bewirken, von Lateinamerika und Afrika bis Zentral- und Südostasien.

Natürlich ist was dran an dem Vorwurf, dass Europa in der Regel Filme mit lokalen Themen fördert, die dann einem globalen Festival-Publikum, nicht aber den Zuschauern im Entstehungsland etwas sagen. Böse formuliert: ein Exotismus künstlerisch anspruchsvoller Eliten. Nüchtern betrachtet: ein Paradox, das die Vielfalt des globalisierten, auf Festivals konzentrierten Filmkunstbetriebs erst möglich macht.

Um diese Probleme wissen die Macher des WCF. Sie fördern, wenn es geht, auch den Verleih ihrer Filme und hoffen zugleich auf den Idealfall: dass ein Film das globale Filmkunst-Publikum und die heimischen Zuschauer gleichermaßen begeistert. So etwas kommt vor. Mit berechtigtem Stolz können Heinen und Bugno nicht nur auf Meisterwerke wie „Independencia“ oder Paz Encinas minimalistisches Zwei-Personen-Stück „Hamaca Paraguaya“ verweisen. Das jüngste und glücklichste Beispiel ist Claudia Llosas diesjähriger Berlinale-Gewinner „Eine Perle Ewigkeit“. Mit ihm eröffnet das WCF-Spotlight, das die Arbeit des World Cinema Fund dieser Tage vorstellt, heute sein Programm. Es ist ein politischer Film, in hoch intelligent komponierten Bildern und implikationsreich erzählt. Ein Erfolg in Peru und auf den Festivals dieser Welt. Hinter jedem Glücksfall dieser Art stehen die Institutionen, die ihn möglich machen. Was eine unterfinanzierte Förderklitsche wie der WCF mit den zentralen Produktionsmitteln Sorgfalt, Passion und Kennerschaft leisten kann, das ist bei der heute mit einer Laudatio von Fatih Akin startenden Filmreihe zu bewundern.

■ Bis 7. November in den Hackeschen Höfen. www.berlinale.de