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„Bring den Alten zur Räson!“

Als erster Profiklub Deutschlands hat der HSV vor zehn Jahren in einer Ausstellung seine Rolle im NS-Regime dokumentiert, auch Teile der Fanszene setzen sich aktiv damit auseinander. Nur der Hauptinvestor des Vereins schweigt zu seiner Vergangenheit

Im Januar 2010 beschlossen die Mitglieder des HSV in einer Versammlung einstimmig, die im Dritten Reich ausgeschlossenen jüdischen Mitglieder postum wieder aufzunehmen

Von Ralf Lorenzen

Oscar Algner, ältester HSV-Fan, erinnert sich: „Als der HSV 1940 aufgefordert wurde, alle Juden sofort auszuschließen, hat mein Vater in einer Versammlung im Curio-Haus widersprochen. Daraufhin rief mich der Sportjournalist ‚Heia‘ Hase in der Kaserne in Wentorf an und sagte ‚Mensch Junior! Bring den Alten zur Räson.‘“

Dies erzählte der Hamburger Algner, der 2015 für seine 85-jährige Vereinsmitgliedschaft ausgezeichnet wurde, im Jahr 2007 bei der Eröffnung der Ausstellung „HSV unterm Hakenkreuz“ im HSV-Museum.

Der HSV war damals der erste große Fußball-Klub Deutschlands, der das Verhalten von Mitgliedern und Funktionären vor, während und nach der Nazi-Zeit in vielen Schattierungen dokumentierte: vom vorauseilenden Gehorsam, über das Handlangertum bis zur Zivilcourage. „Von Widerstand kann man dabei nicht reden, sonst gäbe es den HSV wohl nicht mehr“, sagte der damalige Museumsleiter Dirk Mansen der taz.

Trotz vereinzelter couragierter Funktionäre wie Algner senior nahm auch der HSV ab 1933 keine Juden mehr auf. Auf der anderen Seite halfen noch im Juli 1935 jüdische Spender dem Verein aus der finanziellen Krise. Aufgrund seiner Lage am Rothenbaum hatte der HSV einen mehr als doppelt so hohen Anteil jüdischer Mitglieder, denn in den Wohnvierteln Harvestehude, Grindel und Eppendorf lebten besonders viele Juden.

So erinnert die Ausstellung auch an das Schicksal der später ermordeten jüdischen Mitglieder, wie des in Altona geborenen Norbert Prenzlau und dessen Frau Olga, die einst für das Klub-Haus an der Rothenbaumchaussee Einrichtungsgegenstände gestiftet hatten. An sie wird mittlerweile auf Initiative des HSV-Museums mit Stolpersteinen erinnert.

Wie eng Täter- und Opferschaft in der Nazizeit mitunter zusammenhingen, zeigt das Schicksal des HSV-Präsidenten beziehungsweise „Vereinsführers“ Emil Martens. Noch auf der Jahreshauptversammlung 1933 rühmte er sich, der HSV habe „schon 1928 als einziger Verein das Führerprinzip bei uns durchgeführt und uns abgewandt vom System der Vielredner und Besserwisser“. 1936 wurde er homosexueller Handlungen beschuldigt und in den Folgejahren mehrfach inhaftiert. Erst 1944 kam er frei – nach Kastration und Haft in der Sicherheitsverwahrung.

Auch das Verhältnis zu einer seiner größten Vorkriegslegenden hat der HSV mittlerweile aufgearbeitet. Eine Info-Tafel erinnert seit 2007 an Otto Fritz Harder, genannt „Tull“, der bis in die späten 20er-Jahre ein HSV-Idol war.

Bereits am 1. September 1931 trat er in die NSDAP ein und wenig später in die SS. Er gehörte unter anderem zum Wachpersonal in Neuengamme und brachte es bis zum Leiter des KZ-Außenlagers in Hannover-Ahlem. 1947 wurde er im Curio-Haus von den britischen Besatzern zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, die später auf zehn Jahre reduziert wurden. Tatsächlich kam er bereits 1951 wieder frei.

Den in der Nachkriegszeit mehrheitlich praktizierten Verdrängungseifer dokumentiert auch der Umgang des HSV mit Tull Harder nach dessen Tod 1956. Spieler der ersten Jugendmannschaft des HSV hielten im Klub-Dress laut Hamburger Abendblatt „Wache“ am Sarg, der mit einer HSV-Flagge bedeckt war. Die HSV-Nachrichten schrieben in ihrem Nachruf: „Nun ist er nicht mehr; aber unsere Gedanken werden noch oft bei ihm weilen und den schönen Stunden gedenken, der er uns bereitet hat.“ Noch 1974 wäre Harder in einer Broschüre zur Fußball-WM fast als Legende des Hamburger Fußballs gewürdigt worden – im letzten Augenblick fiel jemandem der Sachverhalt auf und die Seite wurde entfernt.

Während sich ab Ende der 60er-Jahre der öffentliche Diskurs über die faschistische Vergangenheit langsam in Richtung einer aufklärenden Erinnerungs- und Gedenkarbeit wandelte, blieben die Stadionkurven noch länger Resonanzraum für rechte Gesinnungen.

„Ja, auch diese Gruppierungen gehören zur Vereinsgeschichte“, sagt der heutige Leiter des HSV-Museums, Niko Stövhase. „Der Höhepunkt der rechten Gruppierungen findet sich (…) in den späten 1980er-Jahren bis in die 1990er-Jahre hinein.“ Ein Gegengewicht sei mit der Gründung des Supporter Clubs 1993 entstanden. „Plötzlich gab es eine Ansprechstelle, wenn man sich unter den Fans nicht wohl gefühlt hat. Mit dem neuen Stadion, dem Aufbrechen der gewohnten Fanstrukturen und dem deutlich höheren Frauen- und Familienanteil hat sich da viel getan.“

Weitere Schritte gab es auch in der Erinnerungsarbeit. Im Januar 2010 beschlossen die Mitglieder des HSV auf einer Mitgliederversammlung einstimmig, die im Dritten Reich ausgeschlossenen jüdischen Mitglieder postum wieder aufzunehmen. Zum Angebot des Projektes „Lernen im Volksparkstadion – Hamburger Weg Klassenzimmer“ gehört seit zwei Jahren auch ein Modul, dass sich mit dem HSV im Nationalsozialismus beschäftigt.

Schließlich gründeten aktive HSV-Fans sowie Mitarbeiter aus dem Verein, dem Fanprojekt und Supporters Club das „Netzwerk Erinnerungsarbeit“, das seitdem eigene Aktivitäten wie Workshops und Gedenkfahrten in die KZ-Gedenkstätte Neuengamme organisiert. „Als im Januar 2016 die Ausstellung über den „Hamburger Fußball im Nationalsozialismus“ im Rathaus gezeigt wurde, entstand bei einigen der Wunsch, das Thema auch beim HSV mehr in den Fokus zu rücken“, heißt es dazu auf hsv.de.

Noch nicht erfasst hat die vorbildhafte Erinnerungskultur des HSV seinen Hauptinvestor. Das Unternehmen Kühne + Nagel, dessen Mehrheitseigner Klaus-Michael Kühne ist, bekennt sich bis heute nicht klar zu seiner herausragenden Rolle als maßgeblicher Logistikpartner der Wehrmacht beim NS-Raubzug durch jüdische Wohnungen und Häuser. In Bremen, wo Kühne + Nagel 1890 gegründet wurde, wird demnächst ein Mahnmal in der Nähe der Firmenzentrale an die „Arisierung“ jüdischen Eigentums erinnern.

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