Der Marburger Bund missbraucht die Interessen der Assis : Rettet das Einkommen der Chefärzte
Ein spektakulärer Schritt: Die deutschen Klinikärzte kämpfen jetzt allein um ihre Löhne – erstmals seit Jahrzehnten. Der Marburger Bund ist aus der Tarifgemeinschaft mit Ver.di ausgestiegen, weil die Ärzte glauben, dass sie mehr herausholen, wenn sie keine Rücksicht mehr auf die Interessen der Krankenschwestern nehmen müssen. Der Marburger Bund macht nach, was die Pilotenvereinigung Cockpit vorexerziert: weg von der Einheitsgewerkschaft, hin zur ständischen Klientelpolitik.
Damit werden die Ärzte nicht unbedingt Erfolg haben, denn die Länderfinanzminister können den Konflikt aussitzen. Sie müssen nicht verhandeln, um die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden aufzustocken sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld zu kürzen. Denn die Fluktuation in den Universitätskrankenhäusern ist hoch – bleiben doch die meisten Ärzte nur fünf bis sechs Jahre. Die Neuangestellten sind leicht zu erpressen: Sie bekommen nur einen Vertrag, wenn sie sich den Konditionen der Landesfinanzminister beugen.
Dem Marburger Bund bleibt nur eine Drohung: Dann würden die jungen Ärzte eben ins Ausland abwandern, wo sie deutlich besser verdienten. In der Tat sind deutsche Assistenzärzte nicht zu beneiden. Sie schieben endlose Überstunden; der Nettolohn ist miserabel, wenn man den realen Arbeitseinsatz berücksichtigt.
Trotzdem kann die Lösung nicht sein, noch mehr Geld ins Gesundheitswesen zu pumpen. Die Deutschen bringen schon Rekordsummen auf. Was der Marburger Bund stets zu erwähnen vergisst: Die Assistenzärzte verdienen zwar schlecht – doch die Ober- und Chefärzte umso besser. Für sie ist es außerordentlich lukrativ, Privatpatienten zu behandeln. Wenn der Marburger Bund mehr Lohn für die Assistenzärzte fordert, dann auch um die enormen Privilegien der leitenden Ärzte zu retten.
Deutschland hat die dritthöchste Medizinerdichte in Europa. Da die Assistenzärzte trotzdem überlastet sind, muss das Gesundheitswesen falsch organisiert sein. Sinnlos sind etwa die Doppeltuntersuchungen beim Facharzt und im Krankenhaus. Da ließen sich viele Mediziner einsparen. Kein Wunder, dass der Marburger Bund auch dazu beharrlich schweigt. ULRIKE HERRMANN