meinungsstark
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Ganz schön daneben

„Ganz schön vermessen“, taz vom 3. 1. 18

Liebe tazler*innen, nun muss ich wohl doch zum ersten Mal schreiben, obwohl ich seit der ersten Null-Nummer und auch beim Tunix-Kongress schon dabei war, ist mir solch ein Unsinn und das auf Seite eins bisher noch nicht untergekommen. Ich könnte mich glatt fremdschämen. Wie kann es Euch passieren, so was – das Ja in Eurem Pro und Contra – auf der Seite eins zu veröffentlichen? Ich bin ernsthaft entsetzt. Schon die Sprache spricht Bände: „Schon zuvor war es für Familien etwa aus Syrien attraktiver, einen minderjährigen Sohn auf die Reise nach Deutschland zu schicken …“. Bitte, das ist doch genau der sprachliche Gestus der AfD und CSU. Wir reden hier nicht von einer Pauschal- oder Abenteuerreise, sondern hier geht es ums blanke Überleben Einzelner oder auch von Familien, aber nicht um trickreiches Agieren, so nach dem Motto, wäre ja auch ganz lustig, mal in Deutschland zu leben. Bitte nehmt als Zeitung nicht an dem allgemeinen Rechtsruck teil. Solch eine Zeitung wie die taz wird wie damals auch heute noch gebraucht. Mario Walter, Berlin

Diffamierung der Unbescholtenen

„Ganz schön vermessen“, taz vom 3. 1. 18

Was bleibt, sind Spekulationen über die möglichen Motive und das Verhalten von höchst vage beschriebenen Gruppen wie „Familien in Syrien“. Ihnen wird unterstellt, dass sie strategisch „einen minderjährigen Sohn“ nach Deutschland schicken. Solchen Annahmen liegt eine hohe Bewertung der „Pull-Faktoren“ sowie eine völlige Vernachlässigung der „Push-Faktoren“ zugrunde. Gerade männliche Jugendliche sind in Bürgerkriegsregionen in der Gefahr, von den Kriegsparteien zwangsrekrutiert zu werden, und werden daher von ihren Familien auf den Weg in eine vermeintliche Sicherheit geschickt. Warum es dagegen wünschenswerter sein sollte, dass sich stattdessen der „40-jährige Familienvater“ auf den Weg macht, um dann von Deutschland aus per Handy und Skype zu verfolgen, wie seine Angehörigen im Herkunftsland von Bürgerkrieg und Krankheiten zermürbt oder getötet werden, bleibt unverständlich. Schließlich bedient auch der Verweis auf die erhöhte Kriminalität von männlichen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen nur noch dumpfe Ängste – schließlich gilt diese Tatsache unabhängig von nationaler und kultureller Herkunft. Was folgt daraus im Umgang mit der großen Mehrheit der unbescholtenen zugewanderten wie einheimischen Jugendlichen?

Eleonore von Oertzen, Hannover