: Glanz und Elend des Wunder-Theo
Erst als Geiger, dann als Dirigent hat Theodor Thomas aus Esens Nordamerika erobert – dann demütigte ihn Chicago
Von Benno Schirrmeister
Eine Gesellschaft trägt seinen Namen, man hat ihm als Denkmal eine halbnackte Bronzefrau in den Grant-Park am Michigansee gestellt, ein Riesen-Konzertsaal heißt nach ihm. Und die Mehrzweckhalle von Esens: Bevor Theodore Thomas, geboren 1835, in den USA zum prägenden Dirigenten des 19. Jahrhunderts avancierte, hat er als Kind in Ostfriesland Bauernhochzeiten gerockt. Mit seiner Geige. „Ich habe nicht die blasseste Ahnung, wie ich anfing, zu spielen“, heißt es in seiner gleich nach dem Tod 1905 erschienenen Autobiografie. „Meine früheste Erinnerung ist, dass mein Vater Geige spielte, und ich eben auch.“ In Esens ist sein Vater Johann Thomas Stadtpfeifer, das wirft gerade so genug ab, um 1845 der Familie die Überfahrt nach New York zu zahlen. Dort musiziert der Senior sich mit seinem kleinen Wunder-Theo nachts durch die Spelunken, um zu überleben. Schließlich finden sie Anstellung in einer Navy-Band. Vier Jahre später zieht Theodore los – und erobert Amerika. Erst als Geiger, ab 1862 als Dirigent.
Musik kann ein grausames Geschäft sein. Thomas, 14 Jahre lang Leiter der New York Philharmonics, Gründer des Chicago Symphony Orchestra, Gründer des Cincinnati College of Music erlebt die bitterste Kränkung in dem Moment, der den Gipfel seines Ruhmes hätte markieren sollen: Als Musical Director der Weltausstellung von 1893 in Chicago hat er den Auftrag, „erstmals in der Geschichte eine komplette und vollendete Ausstellung der Musik in allen ihren Spielarten“ zu organisieren. Für die Eröffnung am 2. Mai hat sogar Super-Superstar Ignacy Paderewski zugesagt. Toll! Bloß: Paderewski spielt nur Steinway. Und Steinway hat Chicago brüskiert, durch eine Absage zwei Monate vor der Eröffnung. Das Nationale Expo-Komitee untersagt am 28. April alle Konzerte auf „Instrumenten von nicht in der Ausstellung vertretenen Klavierherstellern“ und erlaubt dem Messe-Chef, alle Steinway-Flügel zu entfernen, die auf dem Ausstellungsgelände entdeckt werden sollten.
Paderewski spielt – auf einem Steinway, was sonst? Das Publikum jubelt. Die Lokalpresse tobt: Sie erklärt Thomas für schuldig. Ab dem 4. Mai fordern Herald und Evening Post fast täglich den Rauswurf des Deutschen, der mit den ebenfalls deutschen „Steinwegs“ konspiriert habe und obendrein „unfähig ist, die Melodie auch nur irgendeines Musikstücks zu erkennen, es sei denn, sie stammt von einem deutschen Komponisten“, heißt es. „Ich kann Ihnen nicht sagen, welchen Schmerz mir diese Angriffe bereiten“, schreibt Thomas im Juli einem engen Freund. Am 12. August 1893 legt er die Leitung nieder – zermürbt, frustriert. Und unendlich müde.
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