: Der Glaube geht
Massiver Mitgliederschwund bei den Protestanten, Stagnationbei den Katholiken: Die Hauptstadt wird immer areligiöser
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Von Claudius Prößer
Eine Großstadt ist der evangelischen Landeskirche (EKBO) in den letzten zehn Jahren abhanden gekommen – über 100.000 Berliner Mitglieder hat sie zwischen 2007 und 2016 verloren. Dabei spielen Austritte – rund 85.000 – die größte Rolle. Zudem verliert die Kirche Mitglieder, weil die Todesfälle die Taufen und Eintritte übersteigen. Weil die Bevölkerung gleichzeitig wächst, fällt der Rückgang noch dramatischer aus: 2007 waren 20,5 Prozent der BerlinerInnen EKBO-Mitglieder, 2016 nur noch 15,9 Prozent.
Das geht aus der Antwort der Justizverwaltung auf eine Anfrage von Sebastian Schlüsselburg (Linke) hervor. Sie zeigen auch das etwas anders gelagerte Szenario bei der katholischen Kirche, die in Berlin traditionell viel schwächer ist: Sie musste zwar rund 45.000 Austritte verkraften, konnte aber ihre Mitgliederzahl von 318.000 auf 331.000 leicht steigern.
„Die Katholikenzahlen im Erzbistum Berlin steigen durch Zuzüge“, erklärt Sprecher Stefan Förner. Aus Süddeutschland, dem Rheinland, Südeuropa, Lateinamerika und natürlich Polen wanderten KatholikInnen zu. Etwa jedeR vierte KatholikIn in Berlin habe einen Migrationshintergrund. Weil das Wachstum der EinwohnerInnen aber stärker ausfällt, ist der Anteil der KatholikInnen an der Bevölkerung trotzdem leicht gefallen, von 9,5 auf 9 Prozent.
Der Trend zum Austritt geht bei beiden Kirchen nach oben. Besonders heftig war das Jahr 2014, als sich mit 18.425 Menschen fast doppelt so viele Katholiken und Protestanten zum Amtsgericht aufmachten. Das lag an einer Gesetzesänderung: Die Banken führen seit 2015 Kirchensteuer auf Kapitalerträge direkt ab und hatten deshalb die Religionszugehörigkeit ihrer KundInnen abgefragt. Für viele war das der letzte Tropfen.
„Der Austritt ist nach unseren Einschätzungen der letzte Schritt einer Entfremdung über einen längeren Zeitraum“, sagt auch Sprecher Förner, „ausgelöst durch eine aktuelle Berichterstattung oder ein persönliches Erlebnis.“ Die Kirche bemühe sich, „für möglichst viele Menschen erfahr- und erlebbar“ zu sei. Dass man nicht alle erreiche, sei „eine schmerzliche Einsicht“.
Seine Kollegin bei der EKBO, Heike Krohn-Bräuer, verweist auf eine Mitgliederstudie von 2014. Demnach sei religiöse Indifferenz der Hauptgrund für Austritte: „keine Religion im Leben zu brauchen, mit dem Glauben nichts anfangen zu können, Kirche unglaubwürdig zu finden“. Demgegenüber seien „Menschen für den Glauben und für die Kirche nur als Einzelne zurückzugewinnen“.
Jedes zweite EKBO-Mitglied ist laut Krohn-Bräuer über 50. Zusammen mit den Austritten wird dies dafür sorgen, dass sich der protestantische Bevölkerungsanteil dem katholischen immer mehr angleicht.
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