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Der mit dem Schnauzer

Vor 16 Jahren gewann zum letzten Mal ein deutscher Skispringer die Vierschanzentournee. Jetzt soll es der Sachse Richard Freitag richten

Zog um nach Bayern, um stabiler und reifer zu werden: Richard Freitag, geboren im Erzgebirge Foto: imago

Von Klaus-Eckhard Jost

Richard Freitag verdreht ein wenig die Augen. „Was sind die Gründe“, lautet die drängende Frage an den dreifachen Saisonsieger, „dass Sie so gut und konstant springen?“ Sein Teamkollege Andreas Wellinger hat sie auch schon mehrfach gehört, er macht sich einen Spaß daraus. Mit einem schelmischen Grinsen streicht er sich mit Daumen und Zeigefinger über seine Oberlippe. Damit will er andeuten, dass das Bärtchen, das Freitag seit Kurzem trägt, die Ursache für die neugewonnene Stärke seines Teamkollegen ist.

„Eigentlich war er nur für die Movember-Aktion gedacht“, sagt der Skispringer zu seinem Gesichtsschmuck. Es sollte ein Statement sein. Im November lassen sich Männer weltweit einen Schnurrbart wachsen und wollen so an die Vorsorge-Untersuchungen für Prostatakrebs erinnern. Weil Freitag mit Bart aber siegte, verlängerte er die Aktion über den November hinaus. Daraus wurde der Sieger-Flieger-Bart. Und seitdem sagt der 26-Jährige: „Mein Motto ist: Wer rasiert, verliert.“

Die Frage nach der neuen Stärke von Richard Freitag ist damit aber nicht geklärt. Seit genau acht Jahren springt der Mann aus dem Erzgebirge im Weltcup mit. „Richard hat mindestens die gleichen Möglichkeiten wie Severin Freund, wenn nicht sogar die besseren“, urteilte Bundestrainer Werner Schuster. Als Richard Freitag im Dezember 2011 seinen ersten Weltcup gewinnen konnte, hatte er eine Familientradition fortgesetzt. Auch sein Vater Holger hatte einen Weltcupsieg erzielt. „Ritschie hat das Zeug zum Topstar“, bescheinigte damals Olympiasieger Dieter Thoma dem Hobby-Gitarrenspieler. Doch dazu fehlten dauerhafte Erfolge. Dabei wurden dem Springer, der in derselben Klinik wie Viermal-Tourneesieger Jens Weißflog und Tournee-Grand-Slam-Gewinner Sven Hannawald geboren wurde, Talent im Übermaß attestiert, im selben Atemzug aber seine Einstellung kritisiert. Ihm fehle es an Biss, Ehrgeiz und dem richtigen Fokus. Und so gehörte er 2014 auch nicht zum Team, das in Sotschi Olympiasieger wurde. „Richards Saison tat weh. Sein System ist irgendwie in eine Sackgasse geraten“, sagte Schuster damals.

Für Freitag war dies ein Weckruf. „Auch neben der Schanze hat er an kleinen Schräubchen gedreht“, freute sich Coach Schuster im folgenden Herbst. Freitag hatte eine Ausbildung zum Physiotherapeuten begonnen. Damit hatte auch sein Kopf eine Aufgabe. Das Ziel, wie sein Vater Orthopäde zu werden, hat er nicht aus den Augen verloren, die sportlichen Ziele mitunter schon. „Manchmal musst du einfach aufstehen und weitermachen, so war es bei mir auch“, sagt er rückblickend.

Sporadisch stellte sich dann auch Erfolg ein. Im Januar 2015 konnte er ein schwieriges Tournee-Springen am Bergisel in Innsbruck gewinnen, einige Wochen später gewann er Gold mit dem Mixed-Team bei der WM in Falun. „Er hat schon tolle Leistungen geboten, nur eben nicht so konstant“, sagt Schuster. „Sein Sprung war in gewissen Situationen gut, mit wenig Anlauf und Rückenwind.“ Er sei immer unglaublich sprunggewaltig gewesen, konnte auch mit wenig Anlauf weit springen. „Heute kann er den Sprung viel schneller machen“, so der Coach.

„Ritschie hat das Zeug zum Topstar“

Geholfen hat ihm bei dieser sprungtechnischen Entwicklung ein Neustart. Im Sommer war der Erzgebirgler nach Oberstdorf ins Allgäu umgezogen. Im „Epizentrum mit den Schanzen“, wie Schuster sagt, wird er von Roar Ljökelsoy betreut. Der Norweger ist nicht nur ein ruhiger Charakter, sondern hat, so der Bundestrainer, „ein Riesenauge und einen großen Erfahrungsschatz“. Und der vierfache Skiflug-Weltmeister genießt das uneingeschränkte Vertrauen von Freitag. Schuster kümmert sich um Wellinger und Ko-Trainer Jens Deimel um Markus Eisenbichler.

Auf alle Fälle hat sich Richard Freitag, der von seiner ebenfalls skispringenden Schwester Selina begleitet wurde, seitdem verändert. „Sein Charakter hat gewonnen: an Stabilität und Reife“, beschreibt Schuster den „neuen“ Freitag. „Ich möchte nicht nur sportlichen Nutzen aus dem Umzug ziehen, sondern sehe den Ortswechsel auch als Aufgabe, an der ich persönlich wachsen kann“, sagt Freitag.

In seiner neuen Heimat darf Freitag am Freitag bei der Qualifikation zum ersten Springen der Vierschanzentournee als Weltcup-Führender auf der Schattenbergschanze springen. Sein Höhenflug hat dafür gesorgt, dass sowohl die Qualifikation als auch das Springen am Samstag ausverkauft sind. Die Erwartungen, nicht nur an ihn, sind groß. „Ich hoffe, dass es endlich wieder mit einem deutschen Tourneesieg klappt“, sagt Hannawald. Sein Triumph liegt 16 Jahre zurück.

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