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Als politische Kunst noch geholfen hat …

… oder man das wenigstens hoffen konnte: Die vom Künstler Paolo Cirio kuratierte Ausstellung „Evidentiary Realism“ in der Nome Gallery setzt – dem Reden über Fake News zum Trotz – auf die Macht der Fakten

Von Tilman Baumgärtel

Endlosen Dank an die revolutionäre Unterstützung durch Google, Facebook, Twitter und YouTube“, steht im Abspann der „Video Diaries“ von Khaled Hafez von 2011. Die Arbeit zeigt parallel gleichzeitig aufgenommene Videos von einer Demonstration auf dem Tahirplatz in Kairo zur Zeit des Arabischen Frühlings aus ganz verschiedenen Quellen: Einige Sequenzen hat der Künstler selbst gefilmt, andere stammen von Nachrichtensendern, wieder andere von YouTube und aus anderen sozialen Medien. Das Material war so reichhaltig, dass Hafez die brutale Räumung einer Straße durch die Polizei fast durchgehend gleichzeitig aus drei verschiedenen Perspektiven zeigen kann.

So ist der öffentliche Raum zu einer Art Filmstudio geworden, in dem bei dramatischen Ereignissen das Geschehen von so vielen Smartphonekameras aufgenommen wird, dass man aus dem Material wie ein Cutter verschiedene Einstellungen zu einem Dokumentarfilm, der von Dutzenden von Mitarbeitern gedreht wurde, zusammenschneiden könnte. Hafez macht den Überfluss an Bildmaterial dadurch deutlich, dass er die Sequenz im Splitscreen in drei parallel ablaufenden Sequenzen zeigt. Verwaltet wird das Material wenigstens teilweise von amerikanischen Internetunternehmen, die ein gigantisches Archiv von Bildern der Wirklichkeit aufhäufen, diese klassifizieren und miteinander verlinken.

Die Arbeit kann als ein Ausgangspunkt dienen für die Gruppenausstellung „Evidentiary Realism“, die der italienische Künstler Paolo Cirio kuratiert hat und die nach einer Station in New York in der Fridman Gallery nun in Berlin in der Nome Gallery zu sehen ist. Es geht um Kunst, die – im Sinne Brechts – Dokumente schafft oder vorgefundene Dokumente in ihren Entstehungsprozess integriert. Statt im traditionellen Sinn realistische Abbilder der Wirklichkeit zu erschaffen, bedienen sich die Künstler entweder Daten und Akten, die schon vorlagen, oder schaffen selbst quantifizierende Abbilder der Welt.

Es geht um Kunst, die Dokumente schafft oder vorgefundene Dokumente in ihren Entstehungsprozess integriert

Das beginnt in der Schau historisch mit Hans Haackes Umfragen unter Ausstellungsbesuchern, unter anderem bei der documenta 1972, bei denen etwa Bildungsniveau und Ansichten zu politischen Themen – zum Beispiel zu Berufsverboten – abgefragt wurden. Die amerikanische Künstlerin Sadie Barnette hat mehr als 500 Dokumente zur Überwachung ihres Vaters Rodney, einem Mitglied der Black Panther Party, durch eine Anfrage im Rahmen des Freedom of Information Act (FOIA) erhalten, die zeigen, wie FBI-Agenten über Jahrzehnte sein Alltagsleben in den 60er- und 70er-Jahren dokumentierten. In der Ausstellung kann man in mit Spraydosen bearbeiteten Akten nachlesen, wie der FBI dafür sorgte, dass Barnette seine Stelle als Briefträger verlor, weil er mit der Mutter der Künstlerin zusammenlebte, ohne mit ihr verheiratet zu sein.

So schaffen Verwaltungen und Geheimdienste minutiöse Abbilder der Wirklichkeit, ohne darum die Schriftsteller oder Künstler zu sein, denen diese Aufgabe traditionellerweise zukam.

Umgekehrt nutzen Künstler bürokratische Präsentationskonventionen, um Zusammenhänge darzustellen, die sich den traditionellen, naturalistischen Darstellungsmethoden der Kunst entziehen: Mark Lombardi zeigt in pedantischen, mit dem Bleistift gemalten Diagrammen, welche Geschäftsbeziehungen zwischen Osama Bin Laden und der Bush-Familie und verschiedenen amerikanischen Unternehmen bestanden haben.

Die Ausstellung hat sich ein Thema vorgenommen, das für das Format einer Gruppenausstellung in einer Galerie mit nur zwölf Arbeiten schlicht zu weitreichend ist. Es kann der Komplexität der Thematik und der Vielzahl der künstlerischen Herangehensweisen nicht gerecht werden. Möglicherweise ist es fruchtbarer, die Ausstellung als eine Art Kompendium über Kurator und Künstler Paolo Cirio zu betrachten, der hier wichtige Einflüsse und Positionen, die seine eigene Arbeit geprägt haben, zusammengestellt hat.

Paolo Cirio selbst hat unter anderem die Social-Media-Profile von US-amerikanischen Antiterrorkämpfern als Graffiti-Bilder in Berlin gesprüht oder mit Informationen über Firmen gearbeitet, die sich in Steuerparadiesen wie Panama eingerichtet haben. So gesehen ist die Ausstellung eine Art Blick in Cirios Notizbuch, in dem er Werke und Künstler verzeichnet hat, die ihn beeindruckt und in seiner Arbeit beeinflusst haben.

Eine hinreichende Auswahl an interessanten Werken bietet die Ausstellung auf jeden Fall. Und in gewisser Weise auch eine Stichprobe von Arbeiten aus einer Zeit, als politische Kunst noch geholfen hat – oder man das wenigstens hoffen konnte. Im Zeitalter von Trump und dem Dauergelaber über Fake News hat das Beharren auf die Macht der Fakten, das die Ausstellung prägt, fast etwas liebenswert Rechtschaffenes, das durch die derzeitige politische Großwetterlage ununterbrochen in Frage gestellt wird. Denn inzwischen werden wir Tag für Tag daran erinnert, dass aktenkundige dokumentierte Fakten für viele Menschen einfach keine Rolle spielen, wenn sie ihrem Weltbild widersprechen.

„Evidentiary Realism“ in der Nome Gallery, Glogauer Str. 17. Bis 17. Februar 2018, Di.-Sa. 15-19 Uhr. Weitere Information: www.evidentiaryrealism.net

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