: Flimmflach durchgedroschen
Dröhnend repräsentativ: Moritz Eggers Fußballoratorium „Die Tiefe des Raums“ bei der RuhrTriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle. Das Auftragswerk ist offizieller Beitrag des Kulturprogramms der Bundesregierung zur WM 2006
AUS BOCHUMFRIEDER REININGHAUS
Hunderte von Händen greifen nach dem Sieg auf einem Feld, auf dem sich bislang noch niemand in dieser Form hervor wagte. Es ist ein Stück, das ins Herz der Ruhr-Region zielt: das Fußballoratorium „Die Tiefe des Raumes“ des Librettisten Michael Klaus aus Gelsenkirchen und des Münchener Komponisten Moritz Eggert. Fußball als Leidenschaft, als Lebenselixier, als Medienereignis – kurz: der zentrale Faktor des wirklichen Lebens sollte zu einem großen Festabend der Musik nobilitiert werden. Dutzende von Kehlen singen von Freud und Leid auf dem Spielfeld, in den Kabinen und Duschräumen des Stadions, von der Wahrnehmung der angespanntesten Spannung im Ringen um den Sieg draußen im Lande.
Nicht zufällig gehört der Rekurs auf die Live-Konferenz des Radios zu den wichtigen Stilmitteln des Montage-Werks von Klaus und Eggert. Freilich greifen die aufgebotenen literarischen und kompositorischen Mittel weit in die Geschichte aus. Die Form der Szenenfolge, die sich der rasch zu erzählenden Biographie eines typischen Profifußballers entlang hangelt, ist an die des barocken (geistlichen) Oratoriums angelehnt. Die Tugend, allegorisch korrekt in Sopranlage angesiedelt, tritt in konzertante Konkurrenz zum Laster in Gestalt einer Mezzosopranistin, dem als Heldentenor brillierenden und sinnierenden Spieler steht ein in Bassregionen angesiedelte Reporter gegenüber. Zu vier singenden Solisten kommen drei sprechende: prominente Schauspieler wie Peter Lohmeyer als Altinternationaler oder Joachim Król als Trainer raunzen, stöhnen, brüllen in Mikrophone.
Ein eigens für den festlichen Anlass rekrutierter Chor mit vier Dutzend kräftigen Sängerinnen und Sängern marschiert in Fan-Kleidung auf, sie intonieren nicht nur Schlachtenbummler-Gesänge, sondern auch barockisierende Fugen und philharmonischen Triumphgesang. Instrumentalsolisten und die Bochumer Symphoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Steven Sloane unterfüttern die große akustische Kulisse mit Anspielungen auf Richard Strauss und anderes musikalisches Heldenleben, rhythmisieren aus dem Geiste Carl Orffs oder gleiten in Musical-Sound aus, schlagen auch einmal in voller Breite mit einem Cluster zu.
Mit Blick auf den Komponisten ruft der schon zur Halbzeit siegestrunkene Intendant der RuhrTriennale, indem er sich vom Arm des Ministerpräsidenten löst, ein paar Kritikern zu: „Es ist doch schön, wie er spielt“. Aber ein wenig wirkte die von Jürgen Flimm da noch einmal geschlagene Werbetrommel, als traue er der Gemengelage der heterogenen Text-Elemente und des kompositorischen Kauderwelschs doch nicht ganz. Am Ende konnte er beruhigt sein: Die Rechnung mit dieser Auftragsarbeit, einer Aufgabe mit wenigstens zwei Unbekannten, ging voll und ganz auf. Der Jubel in der Bochumer Jahrhunderthalle war einhellig. Eine Piccoloflöte hatte zum Anpfiff auf dem letzten Loch das Signal gesetzt für einen akustischen „Blick in die Katakomben“ und auf eine Landschaft, die schon vor dem ersten Anstoß bebt. Große Namen der Fußball- und Vereinsgeschichte werden beschworen: Helmut ... Uwe ... Karl-Heinz ... Hansi ... Gerd – sogar Radenkovic und schließlich – in einer atemberaubenden Sopran-Arie – der unvergesserliche Trappatoni: Weißes Hemd und grüne Hose. Der Chor, angefeuert vom bassdröhnenden Journalisten Thomas E. Bauer, wölbt sich auf: „Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen,/ Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau,/ In weiter stets geschweiftem Bogen,/ Hinauf bis in des Himmels Blau!“ Das 0:1 ist zum Heulen, der Ausgleich hochverdient.
Der Text des Auftragswerks, das nicht aus der Rolle fällt, gibt sich so ungeniert treu- und offenherzig wie das sich allsamstäglich in der Wirklichkeit entladende Seelenleben der Fans. Trotz des Variantenreichtums der Eggertschen Stilkopien und Parodien stellen sich nicht erst im zweiten Durchgang Ermüdungserscheinungen ein. Bald schon ist in dieser kunstfertig veredelten Klanghülle gar nicht mehr so erregend, ob da ein Spielzug „ganz klar Abseits“ war, wie es sich nun mit Lohengrin samt Schwan oder Kahn verhält, warum ein wahrer Fan seine Frau selbst in der Stunde der Niederkunft beim Warten auf den entscheidenden Treffer im Stich lässt. Die wirklich witzigen Einlagen sind spärlich bemessen – beschränkt beispielsweise auf den kurzen Moment, in dem ein Tenor den Kopf aus dem Chor reckt und unbeeindruckt in den weiten Luftraum der Jahrhunderthalle schmettert: „Ich schau mir lieber einen guten Film mit Tieren an“.
Das Oratorium von Klaus und Eggert nimmt vom Fußball als Millionengeschäft so gut wie keine ernsthafte Notiz. Kein Wort von den bestochenen Schiris und den in U-Haft sitzenden ARD-Sportredakteuren. Vom Biss, den Harald Schmidts Kommentierung des Papstbesuchs in Köln entwickelte, ist der Bochumer Referenztext meilenweit entfernt. So wird schließlich die „Tiefe des Raums“, der hier in abgründiger Weise Thema war, gänzlich verfehlt und es geht so apologetisch und flimmflach ab, wie es wohl nach dem Willen des Auftraggebers und der im Hintergrund winkenden FIFA sein sollte.
RuhrTriennaleDie Tiefe des RaumesJahrhunderthalle Bochum18. September, 20:00 UhrInfos: 0700-20023456