piwik no script img

Befreiung auf der dunklen Seite

Charuk Revan leitete im Iran eine Schule für Musik und Psychologie, bis sie von konservativen Ordnungshütern geschlossen wurde. In Berlin spielt sie nun Black Metal statt Beethoven

Von Pablo Rohner

Ich mag das Chaos“, sagt Charuk Revan und schaut zu dem Radarturm, der sich schwarz vom dunkelblauen Himmel abhebt. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Darum geht es im Black Metal, um die Freiheit im Chaos.“ Aus dem Turm dröhnt es tatsächlich ziemlich chaotisch, gerade spielt eine Band aus Israel, schnelle und laute Musik zwischen Punk und Metal.

Charuk Revan ist eine zierliche Frau, die mit weicher, tiefer Stimme ein elegantes Englisch spricht. Bald schon wird sich diese Stimme in unmenschliches Kreischen verwandeln, wenn die 36-Jährige als Sängerin und Akkordeonistin der Band Nashmeh die Bühne im Turm betritt. Es ist der erste Tag des Punkfestivals „On Fire Fest“ im brandenburgischen Weesow, einem Ortsteil von Werneuchen. Nashmeh spielen als letzte Band.

Einige Stunden zuvor gleitet die RB 25 von Berlin-Lichtenberg nach Werneuchen durchs Abendlicht. Es ist früher Freitagabend, und der Zug ist ziemlich voll. Auch weil eine Gruppe Punks in Feierlaune darin unterwegs ist. „Papa, gehen die auch feiern?“, fragt ein Kind einen großen Mann mit Walhalla-Tattoo auf dem Unterarm. Die latente Spannung im Wagen knistert auch zwischen den subkulturellen Symbolen – hier Thorhammer-Ring am Finger, dort „Good Night White Pride“-Patch an der Hose. „Sieht so aus. Aber sicher nicht dahin, wo Papa feiern geht“, antwortet er.

Im Vorfeld des „On Fire Fest“ haben die Veranstalter dazu geraten, in Gruppen anzureisen – wegen der Nähe zu Marzahn-Hellersdorf und dem Hinweis darauf, dass es dort viele Rechtsextreme gäbe. Weesow selbst scheint an dem Wochenende nach der Bundestagswahl eher von Gespenstern bewohnt. Die von AfD-Plakaten gesäumte Dorfstraße ist leer, nur einige Vorhänge werden hastig zugezogen, als die Punks vorbeigehen.

„Wir gehören ja eigentlich nicht so recht zu dieser Community“, sagt Charuk Revan. Inzwischen ist es kurz vor Mitternacht am Radarturm und die Menschen sitzen bei der Soli-Küche um ein Feuer, wenn sie gerade eine Pause von frequenzintensiver Beschallung und Moshpit brauchen. „Vielleicht machen wir hier eine Erfahrung, wie sie in regulären Black-Metal-Settings nicht möglich wäre“, sagt sie.

Extreme Musik

Tatsächlich stehen sich Black Metal und Punk oft unversöhnlich gegenüber. Anfang der Neunziger verbanden einige Bands in Norwegen eine neue, extrem schnelle und verzerrte Form des Heavy Metal mit einer extremen, gegen Kirche und bestehende Gesellschaftsordnung gerichteten Ideologie. Für einige blieb es nicht bei der Rhetorik. In einer Spirale der Enthemmung fackelten die oft gerade dem Teenageralter entwachsenen Black-Metal-Musiker in Norwegen Holzkirchen ab, es kam zu Morden und Selbstmorden, viele Bands flirteten mit rassistisch-esoterischen Ideologien.

Die teilweise gegen den Islam gerichteten Texte von Nashmeh, die meisten sind in Charuk Revans Muttersprache Farsi gehalten, stehen also durchaus in problematischer Tradition. Sie selbst sieht diese extreme Musik und ihre Symbolik der Grenzüberschreitung jedoch strikt als Werkzeug zur persönlichen Emanzipation. Charuk Revan erzählt ihre Geschichte mit Black Metal als eine von Befreiung und Selbstermächtigung – als Musikerin, aber auch als Frau. „Ich will eine Stimme der Menschen sein, die unter dem Vorwand der Religion unterdrückt werden. Black Metal zu machen gibt mir auch das Gefühl, nicht bloß ein Opfer gewesen zu sein.“

Sie erinnert sich an den Moment, als sie in einem Proberaum den für diesen Stil typischen hohen Kreischgesang zum ersten Mal hörte: „Mein ganzer Körper vibrierte, ich spürte die kathartische Wirkung, die in dieser Art zu singen liegt.“

Als Charuk Revan 2011 im westindischen Goa ankommt, hat sie noch nie etwas von Black Metal gehört. Im Sehnsuchtsort für Hippies und Technofans trifft sie auf einen Okkultisten, der sich Magus Faustoos Crowley nennt und wie sie aus dem Iran stammt. Freunde empfahlen ihn als Anlaufstelle in Indien, als feststand, dass Revan ihr Heimatland verlassen wollte.

Zusammen beginnen die beiden zunächst mit folkloristischer Musik zu experimentieren, mit Akkordeon und alten Saiteninstrumenten. Nach Jahren der spieltechnischen Übungen am Konservatorium in Teheran sei es ein erlösendes Gefühl gewesen, auf dem Akkordeon zwei simple Melodien zu etwas Eigenem zu arrangieren, erinnert sie sich. Heute spielen sie und Faustoos neben Nashmeh noch in weiteren Black-Metal-Bands und auch in der Akustikformation Paganland mit archaischer persischer Musik.

Traditionelle Musik und Black Metal bedeuteten für Charuk Revan zunächst die Befreiung von musikalischen Konventionen, vom Zwang der Noten. Zum Studium in Teheran – klassische Musik mit Schwerpunkt Klavier – hatte sie sich eingeschrieben, „weil alles andere schlechter gewesen wäre“. Es langweilte sie von Anfang an. „Wie Kristalle, die man nicht berühren darf“, seien ihr die Partituren von Mozart und Beethoven vorgekommen. Dazu sei die Schule chronisch schlecht ausgerüstet gewesen, ein Orchester etwa habe gänzlich gefehlt. Nach einigen Jahren verlässt sie das Konservatorium, um in der Türkei Recht zu studieren.

Doch auch in Istanbul wird sie nicht glücklich, das Studium bricht sie bald wieder ab. Zurück in Teheran gründet sie schließlich mit einem befreundeten Komponisten und Psychologen die „Academia School of Music and Psychology“. Den Aufbau der Schule finanzieren sie mit dem Erbe von Revans Vater, der kurz zuvor gestorben war. Morgens finden Musikkurse, abends psychoanalytische Seminare mit Fokus auf Traumanalyse statt, außerdem gibt Revan Kindern Klavierunterricht. Trotz offizieller Erlaubnis finden die Aktivitäten der Schule im Untergrund statt, zugelassen werden nur den beiden Leitenden bekannte Aspirant*innen. „Eine traumhafte Zeit“, erinnert sich Revan, „produktiv und kreativ“.

Sie endet, als eines Tages ein Inspektor des iranischen Kulturministeriums die Schule besucht. In seinem Report vermerkt er unter anderem, dass unverhüllte Frauen gemeinsam mit Männern in den Seminaren sitzen. Die Schule wird geschlossen.

Zur selben Zeit bereitet Charuk Revan mit einem alternativen Verlag die Veröffentlichung eines Lyrikbands vor, das Thema der Gedichte sind unterdrückte Sexualität und Gefühle von Frauen. Wieder bekommt sie den Rigorismus der Ordnungshüter zu spüren. Die bereits gedruckten Bücher werden beschlagnahmt, der Verlag geschlossen.

„Mein ganzer Körper vibrierte, ich spürte die kathartische Wirkung, die in dieser Art zu singen liegt“

Charuk Revan erinnert sich an den Moment, als sie erstmals den für Black Metal typischen Kreisch­gesang hörte

Als Charuk Revan 2011 zuerst nach Armenien aufbricht, kehrt sie dem Iran endgültig den Rücken. Dann kam Goa. Und dann Greifswald. Dort trifft sie auch Faustoos wieder, der in der Stadt an der Ostsee mit dem heutigen Schlagzeuger von Nashmeh bereits verschiedene Black-Metal-Bands gegründet hatte. An Reisen in den Iran, sagt Revan, sei seit ihrem Einstieg bei Nashmeh ohnehin nicht mehr zu denken. Für religionsfeindliche Musik drohen in dem Land langjährige Haftstrafen.

2013 schließlich zieht Charuk Revan nach Berlin. Hier hofft die Musikerin auf kulturelle Strukturen und Netzwerke, auf eine Etablierung ihrer Bands in der hiesigen Untergrundszene. In ein paar Wochen soll ein neues Album von Nashmeh erscheinen. Auch beruflich tut sich was. Seit Anfang Dezember arbeitet Charuk Revan erstmals seit ihrem Abschied aus Teheran wieder als Klavierlehrerin, an einem Gymnasium in Kladow. Lange wollte sie sich nicht mehr mit Schulmusik befassen, zuletzt hat sie sich dem Beruf doch wieder angenähert – mit verändertem Ansatz: Neben Notenlehre und Spieltechnik versuche sie den Jugendlichen einen Zugang zum Komponieren und Improvisieren zu vermitteln, sagt Revan. Sie sollten Musik als individuelle Ausdrucksform statt als sportähnlichen Leistungsvergleich begreifen.

Keine Misanthropie

„Anti-human, anti-life“ lautet ein Slogan des True Norwegian Black Metal, der die Kutten vieler Black-Metaller*innen ziert. Solche Misanthropie, von vielen in der Szene ostentativ zur Schau gestellt, liege ihr fern, sagt Revan. Neben der männlichen Dominanz störe sie auch diese „Ich-bin-ein-Arschloch-und-bin-stolz-darauf-Attitüde“, wie sie es nennt. „Darum interessiere ich mich eigentlich nicht besonders für die Szene.“

Das Publikum des „On Fire Fest“ wirkt etwas erschöpft, als Nashmeh nach Mitternacht einen musikgewordenen Orkan durch den löchrigen Turm blasen. Die Band trägt Black-Metal-Tracht: viel Leder und verchromte Stacheln, die Gesichter weiß bemalt, schwarz umrandete Augen. Monotone Gitarrenriffs und ein maschinengewehrähnliches Schlagzeug untermalen Charuk Revans Schreie. Dazu spielt sie auf dem Akkordeon obskure Melodien, in ruhigen Passagen trommelt sie auf einer Handtrommel. Die Band wirkt wie in wilder Trance, die nach und nach auch die Gestalten vor der Bühne zu erfassen scheint, im Vergleich mit dem durchschnittlichen Metalpublikum sind darunter viele Frauen.

Gegen zwei Uhr laden Revan und Faustoos die Instrumente in den alten Volvo des Schlagzeugers. Es wird eine kurze Nacht, schon am nächsten Abend spielt die Band in der Nähe von Stuttgart. Für heute haben Chaos und Black Metal ihren Dienst getan. „Ich bin wie gereinigt“, sagt sie und steigt ins Auto.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen