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Elektrisierte Benzinbrüder

Seit drei Jahren gibt es die Rennserie Formel E. Anfangs verspottet, könnte sie zum Experimentierfeld für die Dickschiffe der Automobilindustrie werden

Von Markus Völker

Sie nennen sich Petrolheads. Sie mögen das laute Kreischen der Motoren, stinkende Auspüffe und alle Erscheinungsformen des Brumm-brumm, vor allem mögen sie die Formel 1. Das linksliberale Milieu, also auch die taz, lehnte die Rennserie, Motorsport generell, nicht selten ab. „Das Verbrennen fossiler Brennstoffe im Auftrag von Bernie Ecclestone und RTL ist für die taz kein Thema“, sagte Ex-Sportredakteur Peter Unfried einst dem Stern und verfestigte damit den Ansatz der Leibesübungen-Redaktion, von diesem Sport lieber die Finger zu lassen, zumal es sich eh nur um eine Leistungsschau der Automobil- und Reifenproduzenten handelte. Ganz zu schweigen von den atavistischen Männlichkeitsritualen rund um die Rennstrecken.

Seit drei Jahren gibt es allerdings eine Serie, die sich Formel E nennt. Hier starten Rennwagen mit Elektromotoren. Gefahren wird auf Stadtkursen. Zu Beginn der neuen Saison an diesem Wochenende wird im Hafen von Hongkong herumgebraust. Die Autos werden 225 km/h schnell, haben etwa 245 PS und ein einheitliches Chassis, die Entwicklung des Antriebs mit Motor, Getriebe und Teilen des Fahrwerks obliegt aber den Teams. Die Autos beschleunigen von 0 auf 100 in 2,9 Sekunden und machen mit 80 Dezibel weniger Krach als die Boliden der Formel 1 (100 Dezibel), die mittlerweile allerdings auch mit Hybridantrieben fahren und längst nicht mehr so kreischlaut sind wie in den glorreichen Tagen des Michael Schumacher. Weil die Batterien in der Formel E noch immer nicht stark genug sind, steigen die Piloten nach der Hälfte des Rennens in ein neues Auto ein, um nach 80 Kilometern auch wirklich das Ziel zu erreichen. Als die Formel E im Jahr 2014 auf Ini­tia­tive des internationalen Motorsportverbandschefs Jean Todt, bekannt als Ferrari-Hansdampf in allen Boxengassen, startete, da goss man Kübel voll Hohn und Spott über die Pioniere und ihr Batterienkabinett aus. Der Spiegel vermutete, so eine Rennserie werde kaum mehr Aufmerksamkeit wecken als die Weltmeisterschaft im Minigolf. Nicki Lauda machte sich in markigen Worten über den Stromzirkus lustig: „Ich halte von der Formel E nichts. Sie passt nicht in die heutige Zeit und wird in die Hose gehen.“ Strunzlangweilig werde das, was man ja schon daran sehe, dass die meisten Tickets verschenkt werden müssten. Batterien gehörten ins Handy, sagte der viermalige Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel. Die Stuttgarter Zeitung fand, die Kisten sähen aus, als „seien sie von Studenten einer technischen Universität zusammengebastelt worden“. Kurzum: Das Konzept könne niemals aufgehen, weil die eingefleischten Motorsportfans ihr spezielles Hardcore­feeling brauchten, und dazu gehörten nun mal der Benzinmief und das Boxenluder, aber nicht das ökologisch anspruchsvolle Fahren im Kreis.

Doch nicht alle verdammten Todts Experiment, allen voran Alejandro Agag. Das ist ein spanischer Geschäftsmann, der nicht nur in seinem Heimatland bestens vernetzt ist. Agag ist der große Promotor, ­Investor und Hintermann der Formel E. Mit nicht mal 30 Jahren saß er für die konservative Partido Popular im Europaparlament. 2002 heiratete er Ana Aznar Botella, die Tochter des damaligen spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar, kaufte im selben Jahr Formel-1-Fernsehrechte für den spanischen Markt und besorgte für die Rennserie Sponsoren. Gemeinsam mit dem spanischen Immobilienmilliardär Enrique Bañuelos und dem US-amerikanischen Unternehmer Wyc Grousbeck, dem das Basketballteam Boston Celtics gehört, hat er Dutzende Millionen Dollar in die Formel E gesteckt. Einen ganz guten Draht zu Bernie Eccle­stone hat er auch; mit ihm und der indischen Unternehmerfamilie Mittal gehört ihm der Fußballverein Queens Park Rangers.

Das linksliberale Milieu, auch die taz, lehnte Motorsport nicht selten generell ab

Agag glaubt an die Elektrifizierung des Autos. Die Renner und den Sound findet er cool, und wenn das die Kids auch fänden, dann habe er den Durchbruch geschafft. Dazu ­gehört ein visionäres Denken, das vielen deutschen Autobauern lange abging. Audi schnupperte als erstes Unternehmen in die Rennserie hinein, heuer geht die VW-Tochter mit einem eigenen Rennstall, „Audi Sport Abt Schaeffler“, an den Start. Mercedes will im kommenden Jahr einsteigen, wenn der lästige Zwischenstopp wegen der erlahmenden Batterien wegfällt, Porsche möchte wohl 2019 dazukommen. Die Rennserie könnte zum Experimentierfeld für die Dickschiffe der Automobilindustrie werden, zum Fortschrittslabor, denn die Entwicklungssprünge, die hier gemacht werden können, sind im Gegensatz zum High-End-Produkt Formel 1 enorm.

Ebenso groß sind die Möglichkeiten der Vermarktung, um die sich Liberty ­Media kümmert, jenes Unternehmen, das sich auch die Formel 1 unter den Nagel gerissen hat. Es kommt zwischen Formel E und Formel 1 also zu einem Wettstreit der Technologien und Weltsichten. Das könnte noch sehr spannend werden. Wir bleiben für Sie, liebe Leser, dran an diesem elektrisierenden Thema.

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