: Alles nur Zierrat
Der Arzt hat Ruhe verordnet: Jovana Reisinger liest aus ihrem Debütroman „Still halten“ im Kino Wolf
Von Daphne Weber
Lesung im Kino? Kein Problem für Grenzgängerin Jovana Reisinger, die eigentlich Filme macht. Vor einem Publikum von leider nur 15 Zuhörer*innen liest sie mit hastig-monotoner Stimme zum ersten Mal aus ihrem Debütroman „Still halten“. In an Thomas Bernhard erinnernden Sätzen skizziert sie eine triste österreichische Provinz und den Wunsch einer Frau, aus dieser Welt auszubrechen. Zwischen gepflegter Sparkasse, geranienbeblümten Balkonen, Hunden und an der Wand drapierten Abzeichen verzweifeln schemenhaft beschriebene Figuren daran, ihrem Leben Bedeutung zu verleihen. Die kleinbürgerlich-patriarchalen Könige der Gesellschaft sind die Männer in Feinripp-Unterhemden, die stets das größte Stück Torte am Sonntagstisch abbekommen, das die Frauen artig auf ihre Teller hieven. Ihr Selbstbewusstsein stützt sich auf Jagdabzeichen, das der Frauen auf die Medaille beim Verschönerungswettbewerb des Dorfs. Objekte zur Zier sind sie, und so erzählt auch die Protagonistin, „die Frau“ ohne Namen, aus ihrem Leben, in dem sie sich einfach nur auf den Boden werfen will. Der Arzt hat ihr Ruhe verordnet, doch eigentlich möchte sie in die Stadt und aus der provinziellen Enge ausbrechen.
Frauen wie „abgestellte Haushaltsgeräte“
Sie verzehrt sich danach, wahrgenommen zu werden, ihren Körper zu zeigen, ihren „weiblichen Körper“, und nicht zum „abgestellten Haushaltsgerät“ zu werden wie die übrigen Frauen. Der Tod ist treuer Begleiter der Frau, „Still halten“ beginnt mit einer Beerdigung. Sie denkt sich ihre eigene Beerdigung aus, möchte verschwinden wie eine entfernte Tante. Als die Mutter stirbt, bei der sie das Gefühl hat, ihr noch einen großen Gefallen zu schulden, ist sie erleichtert – dass das Testament sie als Erbin des Elternhauses in der Provinz vorsieht, macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Der Ausbruch gelingt ihr psychologisch, als sie zum Gewehr des Opas greift, die Schuld für ihr Unglück nicht länger bei sich selbst sucht, sondern wahllos Vögel im Garten abschießt. Die einkehrende Ruhe ist ihre Ruhe, das warme Sonnenlicht auf den geschlossenen Augen ihre Erleichterung.
Die Zerrissenheit der Protagonistin schlägt sich auch in der Sprache von „Still halten“ nieder, die zwischen avantgardistischer Komplexität und österreichischem Dialekt angesiedelt ist. Die Erzählerstimme wechselt beständig zwischen objektivierender Außenperspektive und Ich-Erzählung, bisweilen im selben Satz.
Reisinger gelingt es, zugleich skizzenhaft wie auch intensiv zu erzählen, subjektiv Objektivierung von Frauen in der hinterwäldlerischen Provinz zu schildern. „Still halten“ erzählt von der Unfähigkeit der Figuren, über den eigenen Tellerrand zu blicken, und vom stillen Kampf der Frauen um Geborgenheit und Autonomie. Auch wenn die Protagonistin im Laufe des Buchs an ihrer Umwelt zerbricht, gewinnt sie zugleich Stärke, schießt und handelt. Es wird klar, dass ihre Welt unter dem Deckmantel des Zierrats bereits zerbrochen war, als sie noch funktionierte und wartete.
Jovana Reisinger: „Still halten.“ Verbrecher Verlag, Berlin 2017, 200 Seiten, 19 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen