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Françoise, Paula und Milla

Drei hervorragende Filme mit drei Heldinnen von drei Regisseurinnen sind bei der heute beginnenden Französischen Filmwoche, die in mehreren Berliner Kinos läuft, besonders zu empfehlen

Von Ekkehard Knörer

Da ist Françoise (Valérie Dréville), Kunsthistorikerin: Sie hat in Rennes in der Bretagne studiert, aus Pariser Perspektive also tiefe Provinz. Dorthin kehrt sie, nach langen Jahren in der Hauptstadt, nun zurück, auf eine Lebenszeitstelle an der Universität. Einige der Freunde von einst leben noch hier. Die Stadt ist vertraut, die Universität und ihre Hörsäle sind vertraut, die Wege sind vertraut, und doch wird hier und jetzt etwas Neues beginnen.

„Hier und jetzt“, das ist das Motto des ganz und gar verzauberten Films „Suite Armoricaine“ (2016) der Regisseurin Pascale Breton, der sich seinerseits dieser Stadt, der Provinz und auch den Mythen, die die Bretagne umgeben, mit großer ästhetischer Offenheit nähert. Françoise, die Heldin, kommt der Welt, ihrem in Paris verbliebenen Lebensgefährten, weiter und weiter abhanden. Sie trifft alte Weggefährten und stößt auf neue. Sie folgt sich verzweigenden Fährten, findet sich und verliert sich, und am Ende ist das vielleicht ein- und dasselbe. Zweieinhalb Stunden dauert dieser Film über das Ver­gehen der Zeit. Aber die Zeit vergeht, wenn man ihn sieht, wie im Rausch.

Da ist Paula (Laetitia Dosch), sie rastet aus und knallt erst mal mit dem Kopf gegen die Wand. Die Wunde, die genäht werden muss, trägt sie für den Rest des Films auf der Stirn. Ihr Freund, der Fotograf, hat sie verlassen, sie schnappt sich seine Katze und rennt davon. Sie scheint im freien Fall, und Léonor Serrailles in Cannes ausgezeichnetes Debüt „Jeune femme“ beobachtet sie dabei, wie sie sich nach und nach fängt. Das dauert, und die kinetische Energie, mit der sich Paula selbst unter die Leute bringt, macht sie für alle, denen sie begegnet, beinahe gefährlich. Sie findet einen Job als Kindermädchen, man fürchtet das Schlimmste, aber man täuscht sich. Sie findet einen Job als Verkäuferin in einem Chi-Chi-Kleiderladen in einer Mall und findet einen Gefährten.

„Jeune femme“ ist eine Tour de force mit einer formidablen Hauptdarstellerin – ein wenig erinnert der Film an Noémie Lvovskys Meisterwerk „Oublie moi“ aus den neunziger Jahren, aber die Energien, die dank Laetitia Dosch die Geschichte durchströmen, ergeben mehr als genug Widerwillen und Eigensinn.

Und da ist Milla (Séverine Jonckeere), wasserstoffblond, arbeitslos, siebzehn, mit ihrem Freund Léo. Die beiden finden ein leerstehendes Haus und richten sich ein zwischen aufgelesenem Bett, zerbrochenen Fenstern und gestapelten Büchern. Es ist der französische Norden, gute Arbeit ist rar, schon gar für Menschen wie Milla und Léo, ohne Abschluss, ohne amtlichen Wohnsitz, viel mehr als einander haben sie nicht.

Paula fängt als Kindermädchen an, man fürchtet das Schlimmste

Léo jobbt auf einem Fischkutter, dann stirbt er, man erfährt gar nicht genau, wie. Milla ist schwanger, sie findet einen Job als Zimmermädchen in einem Hotel und bringt das Kind alleine zur Welt. Regisseurin Valérie Massadian hat „Milla“ mit Laien gedreht und spielt in einer Nebenrolle selbst mit. Es ist ein Film des geduldigen Beobachtens und des Schweigens, aber auch ein Film der Zäsuren und des Unerklärten. Musik bricht herein und arbeitet gegen den Naturalismus des Sozialdramas, das „Milla“ auch, aber nicht ausschließlich ist.

Drei Filme mit drei Heldinnen von drei Regisseurinnen. Darunter ein Debüt („Jeune femme“). Leónie Serraille ist noch ganz am Anfang einer möglichen Karriere, und es steht zu hoffen, dass sie kontinuierlich weiterarbeiten kann. Auch Pascale Breton, die bislang vor allem Drehbücher schrieb, und Valérie Massadian, die als Fotografin und Set-Designerin gearbeitet hat, sind noch zu entdecken. Beide sind nicht mehr im Debütantinnen-Alter, haben aber bislang nur eine sehr schma­le Filmografie vorzuweisen. „Milla“ ist der zweite Teil einer Art Trilogie über junge Mädchen und Frauen. „Nana“ (2011) hieß der Erstling, der die Geschichte eines vierjährigen Mädchens erzählt. Mit derselben Darstellerin will Massadian den nächsten Film drehen, da ist diese dann elf oder zwölf.

Drei Filme von vielen, die auf der insgesamt eher unübersichtlichen Französischen Filmwoche laufen. Viel Bekannteres ist zu sehen. Etwa Claire Denis’ jüngster Film „Meine schöne innere Sonne“ mit Juliette Binoche als Frau, die ziemlich exzessiv an den Männern und dann auch an sich verzweifelt. Der Film startet demnächst regulär in deutschen Kinos. Bei „Suite Armoricaine“, „Jeune femme“ und „Milla“ wartet man darauf ganz sicher vergeblich. Keiner der Namen dieser drei Regisseurinnen hat über engste Cinephilen-Zirkel hinaus großen Klang. Dabei gehört jeder dieser drei Filme zum Aufregendsten, Originellsten und Schönsten, das in diesem Jahr in Berliner Kinos zu sehen sein wird.

Mehr zum Programm: www.franzoesische-filmwoche.de

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