: Ein Remis als Sieg. Oder als Schlappe
Borussia Dortmund hat gegen Schalke einen 4:0-Vorsprung verspielt. Die BVB-Krise geht weiter. Auch mit Trainer Peter Bosz
Aus Dortmund Daniel Theweleit
Als das rasende Chaos der ganz großen Fußballgefühle seinen Höhepunkt erlebte, kratzte sich Peter Bosz erst mal mit einem Finger am Dreitagebart. Die Menschen waren außer sich, entfesselte Schalker bejubelten ihren Treffer zum 4:4 als historische Großtat, und die schwarz-gelbe Masse auf der Südtribüne wütete, schimpfte und brüllte verzweifelt.
Der königsblaue Torhüter Ralf Fährmann sprach etwas später von „purem Wahnsinn“, aber Worte taugen nur unzureichend, um dieses Erlebnis zu beschreiben. Insofern war es sogar passend, dass Bosz gar nicht erst versuchte, der Wucht verbal habhaft zu werden. Der stärkste Begriff, den er hinterher in jedes Interview einflocht, war „Enttäuschung“; so etwas „darf nicht passieren“, sagte er immer wieder.
Man könnte ihm geradezu dankbar sein für diese Zurückhaltung in einem Moment, der noch sehr lange glühen wird in den Herzen der Fußballmenschen aus dem Ruhrgebiet. Doch so langsam verdichtet sich das Bild eines Fußballtrainers, der nicht nur passiv bleibt, wenn er ohnehin nichts machen kann, sondern der auch in Momenten, in denen klare, strukturierte Handlungen erforderlich sind, nichts tut. Nie war das so eindrucksvoll sichtbar wie an diesem Tag.
Während vor der Schalker Bank Domenico Tedesco schon früh in der Partie immer wieder Spieler zu sich rief, umstellte, diskutierte, und nach einer halben Stunde beim Stand von 4:0 für den BVB zweimal auswechselte, wirkte Bosz wie gelähmt, als das Desaster in der Schlussphase immer konkretere Formen annahm. Seine Einwechslungen gaben falsche Signale (Wir haben Angst! Nur noch verteidigen!), und eigene Fehler einräumen, das macht der Holländer nie. Zur Debatte über unzureichende Fitness des Teams sagte er nur, daran liege es „total nicht“. Den labilen mentalen Zustand führt er selbst als möglichen Grund für die Talfahrt des Teams an. Aber dass er dafür mitverantwortlich ist, ist bei ihm auch kein Thema.
An diesem Tag konnte der Systemdogmatiker immerhin mal erleben, wie wirkungsvoll eine unerwartete Aufstellung sein kann. Die Dreierkette habe er „nicht erwartet, das war ein kluger Schachzug“, lobte sein Gegenüber Tedesco. Doch nach einer halben Stunde hatten die Schalker eine Lösung, und Bosz wusste keine eigene Antwort mehr. Dass Bosz noch ein Trainer wird, der den BVB zu strahlenden Erfolgen führt, ist ähnlich unwahrscheinlich wie das Kunststück, nach einem 0:4 nicht zu verlieren. In der Bundesliga haben das vor den Schalkern nur die Bayern geschafft, 1976 beim 6:5 in Bochum.
Der Inner Circle um Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc entschied sich dennoch in der Nacht, an dem Holländer festzuhalten. Wohl auch weil derzeit weder in der A-Jugend noch bei der U23 Trainer arbeiten, denen man zutraut, vorübergehend mit dieser schwierigen Mannschaft klarzukommen. Und weil auf dem internationalen Trainermarkt weder eine zufriedenstellende Übergangs- noch eine überzeugende Langfristlösung bereitsteht.
Aber Watzke sprach Bosz auf der Mitgliederversammlung am Sonntag auch deutlich ins Gewissen. „Ich habe die klare Erwartung an dich und dein Team, Peter, dass ihr in dieser Woche gemeinsam mit Michael Zorc und seinen Leuten alles auf den Prüfstand stellt und jeden Stein umdreht“, sagte der Geschäftsführer. „Da darf es keine Denkverbote geben.“ Aber warum haben sie das nicht schon viel früher gemacht?
Es ist eine tiefe Ratlosigkeit, die nach dem Trainer nun ebenso die Klubführung erfasst hat, auch Watzke und Zorc geraten immer mehr in die Kritik. Dass es ihnen nicht gelungen ist, mit dem Erfolgscoach Thomas Tuchel zusammenzuarbeiten, hat zwischenmenschliche Ursachen, die man niemandem zum Vorwurf machen kann. Aber, wie geschehen, mit einem Kader in die Saison zu gehen, der fatale Mängel in der Defensive und ein großes Problem mit dem Zusammenhalt hat, hätten die beiden in besseren Jahren zu verhindern gewusst.
Auf diesen Mangel an Struktur und Zusammenhalt spielte Kapitän Schmelzer wohl an, als er sagte, „es gibt Gründe“ für den krassen Kontrast zwischen gutem Saisonbeginn und dem folgenden Absturz, der sich in diesem Derby noch einmal im Zeitraffer betrachten ließ. Aber die Öffentlichkeit müsse bitte „Verständnis“ dafür aufbringen, dass er diese „jetzt nicht nennen kann“, erklärte Schmelzer.
Watzke brachte sogar noch einmal den Gedanken ins Spiel, dass der Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus zu den Ursachen des schlechten Umgangs mit Bedrohungs- und Angstsituationen auf dem Platz zählen könnte. „Wenn ich jetzt mit der Mannschaft nicht so hart umgehe, sollten wir das bei aller berechtigten Kritik einfließen lassen,“ sagte der Geschäftsführer. Vielleicht ist das ein kluger Gedanke, denn vor dem Hintergrund dieser Situation erscheint selbst dieses übernatürliche Derby irgendwie klein, fast harmlos.
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