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Sie sind noch grün hinter den Ohren

RB Leipzig versäumt es, beim 2:2 in Leverkusen in Überzahl einen Vorsprung ins Ziel zu retten. Für Bayer ist der Punkt verdient

Leon Bailey gibt unfreiwillig Hilfestellung für Fernandes da Silvas akrobatische Einlage (oben) Foto: ap

Aus Leverkusen Daniel Theweleit

Das Publikum reagierte mit den in dieser Saison zum üblichen Ritual gewordenen Anschuldigungen und Beleidigungen der Unparteiischen. „Fußballmafia DFB“ brüllte die Nordtribüne, auch „Schieber, Schieber“-Rufe waren zu vernehmen, weil Schiedsrichter Harm Osmers in einem hoch intensiven Fußballspiel zwei Elfmeter und einen Platzverweis gegen Bayer Leverkusen angeordnet hatte. Und weil kein Videoassistent korrigierend eingriff, um die harten Sanktionen gegen die Werkself zurückzunehmen. Es war einer dieser Tage mit akuter Rudi-Völler-Tobsucht-Gefahr, doch der Sportdirektor lief nach dem 2:2 (1:1) seiner Leverkusener gegen RB Leipzig mit einem fröhlich strahlenden Gesicht durch die Arena, lobte die Spielleitung als „sehr ordentlich“ und schwärmte: „Ja, so ein Spiel haben wir schon lange nicht mehr gesehen!“

Tatsächlich hatte das Publikum eine Partie von höchstem Unterhaltungswert gesehen, geleitet von einem Schiedsrichter, der etliche schwierige Situationen erstaunlich richtig bewertet hatte. Nicht einmal die Wut der Leipziger zog er auf sich, weil er kurz vor der Halbzeit einen nur selten umgesetzten Regelauslegungsvorschlag mit erfreulicher Konsequenz angewendet hatte. Naby Keïta hatte sich nach einem schmerzhaften Zweikampf auf dem Boden gewunden, die Leverkusener zögerten kurz, griffen dann aber weiter an. Jahrelang galt in solchen Situationen das Gentlemen’s Agreement, dass der Ball ins Aus und dann nach der ärztlichen Intervention zurückgespielt wird. Seit einiger Zeit heißt es aber, nicht die Spieler, sondern die Schiedsrichter sollen bewerten, ob eine Behandlung dringend nötig ist. „Er kann das Spiel unterbrechen, wenn er glaubt, dass der Spieler schwer verletzt ist, aber das war nicht so“, sagte RB-Trainer Ralph Hasenhüttl, Bayer kombinierte weiter und Leon Bailey traf zum 1:1.

Der Leipziger Trainer ärgerte sich weder über die Leverkusener, noch über Osmers, vielmehr warf er seinen eigenen Spielern vor, „ein bisschen abgeschaltet zu haben“. Wobei ein anderes Merkmal der Unreife an diesem Tag noch schwerer wog. In den vergangenen Wochen hatten die Leipziger mehrfach in Unterzahl spielen müssen und das sehr gut hinbekommen. In Leverkusen waren sie nach einer roten Karte für Benjamin Henrichs nun fast 40 Minuten lang ein Mann mehr und hatten große Schwierigkeiten mit dieser Situation. Der Leverkusener Verteidiger hatte einen Ball auf der Torlinie mit dem Ellenbogen abgewehrt, Emil Forsberg verwandelte den fälligen Elfmeter (54.), und die Sachsen durften mit Führung im Rücken in Überzahl weiter spielen.

Doch plötzlich waren sie das unterlegene Team. Kevin Volland gelang noch der verdiente Ausgleich. In dieser Situation sei der Champions-League-Teilnehmer, der am Dienstag bei AS Monaco gewinnen muss, um die Chance auf den Achtelfinaleinzug zu wahren, „noch grün hinter den Ohren“ gewesen, konstatierte Hasenhüttl. Auf die Kunst, Spiele durch Ballkontrolle zu dominieren, legen sie ohnehin nicht so viel Wert in Leipzig, nun zeigte sich, dass eine Spitzenmannschaft auch diese Fähigkeit einigermaßen beherrschen sollte.

Wäre ihnen vor der Partie ein Unentschieden angeboten worden, hätten sie eingeschlagen, sagten gleich mehrere Leipziger, „jetzt tue ich mich schwer damit“, erklärte der Trainer – und in diesem Fall können weite Teile der Fußballnation den beiden verspielten Punkten auch aus übergeordneter Perspektive nachtrauern.

Denn nach dem spektakulären Einbruch von Borussia Dortmund hat der FC Bayern seinen Vorsprung auf den Tabellenzweiten jetzt schon wieder auf sechs Punkte ausgebaut, die Eintönigkeit des Titelrennens der vergangenen fünf Jahre wird mehr und mehr auch zu einem zentralen Merkmal der laufenden Saison. Deshalb war Kevin Kampl „schon sehr unzufrieden“ mit dem Verlauf des Nachmittags, wobei ihnen der Job als Bayern-Jäger ohnehin nicht besonders gut gefällt. Die Tabelle interessiere ihn derzeit allenfalls am Rande, behauptete Hasenhüttl, wichtiger ist jetzt erst mal Monaco, wo sie sich nicht noch einmal so einer Halbzeit ohne passenden Plan erlauben dürfen.

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