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Helfen, über die Nacht zu kommen
Die Zahl der Obdachlosen in Berlin hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Die auf Spenden angewiesene Kältehilfe organisiert Unterkünfte, Mahlzeiten und Weihnachtsfeiern. Ein nachhaltiges politisches Konzept fehlt
Von Katja-Barbara Heine
Der Ansturm war groß, als die Berliner Stadtmission ihre Notübernachtungen am 1. November öffnete. In der Lehrter Straße 68 schliefen in der ersten Nacht 75 Menschen, Platz gibt es für 121 Personen. Auch die 52 Betten in der Kopenhagener Straße waren gut belegt – obwohl der große Kälteeinbruch noch bevorsteht. „Viele kamen aus den gerade geräumten Obdachlosen-Camps zu uns“, erklärt Ortrud Wohlwend, Sprecherin der Stadtmission.
Am 30. Oktober hatte das Bezirksamt Mitte ein Zeltlager im Tiergarten räumen lassen, das mit Drogenhandel und einem Mord Schlagzeilen gemacht hatte. Zuvor wurden Wohnungslose bereits aus dem Gleisdreieckpark und von einer Grünfläche neben dem Berghain in Friedrichshain vertrieben.
Die Stadtmission ist der größte Akteur der Berliner Kältehilfe, eines Netzwerks aus mehr als 30 Kirchengemeinden, Sozialverbänden und Bürgerinitiativen, das seit mehr als 20 Jahren jeden Winter Hilfe für Obdachlose organisiert: Schlafplätze, Nachtcafés, Suppenküchen, medizinische Versorgung, Beratung. Fünf Monate lang läuft die Hilfe, um Menschen vor dem Erfrieren zu retten. In Berlin sterben jedes Jahr rund 20 Obdachlose, die meisten durch Drogen oder Krankheit.
Finanziert werden die Projekte der Kältehilfe teilweise vom Senat und von den Bezirken, vor allem jedoch aus Spenden. Ohne ehrenamtliche Helfer wären die meisten gar nicht möglich. Derzeit gibt es 698 Plätze in Notunterkünften, bis Ende des Jahres sollen es 1.000 sein. Doch selbst das sind noch viel zu wenig für die geschätzt 4.000 bis 6.000 Menschen, die auf der Straße leben. „Die Zahl der Obdachlosen in Berlin steigt massiv an“, sagt Robert Veltmann, Sprecher der Wohnungslosenhilfe-Organisation Gebewo, die die Koordinierungsstelle Kältehilfe betreibt. „In den letzten fünf Jahren hat sie sich in etwa verdoppelt.“
Ein entscheidender Grund dafür ist die wachsende Wohnungsnot. „Sie wird zu einem immer drängenderen Problem, auch in Berlin“, sagt Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. „Wohnungslose und Obdachlose bleiben auf der Strecke, die Verantwortung dafür wird seit Jahren hin- und hergeschoben.“ Außerdem stranden immer mehr Menschen aus Osteuropa auf den Straßen der deutschen Hauptstadt, insbesondere Polen, Rumänen und Bulgaren. Viele kommen, um Arbeit zu suchen, nicht allen gelingt das. In den Notunterkünften macht ihr Anteil bereits 60 Prozent aus. Die Sozialarbeiterinnen der „Frostschutzengel“ beraten sie in ihrer Muttersprache.
Der Einsatz der Helfer ist groß: Dieses Jahr wird erstmals am Alexanderplatz ein Kältezelt aufgestellt. Neu ist auch eine kostenlose Kältehilfe-App, die über freie Plätze in Notunterkünften informiert. Sie richtet sich an Sozialarbeiter, aber auch an die Obdachlosen selbst, die immer häufiger ein Smartphone besitzen.
Berliner StadtmissionSpendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft. IBAN: DE63 1002 0500 0003 1555 00, BIC: BFSWDE33BER. Sachspenden (Kleidung, Lebensmittel, Möbel) können von Montag bis Freitag von 8 Uhr bis 16.30 Uhr im Zentrum am Hauptbahnhof (Lehrter Straße 68) abgegeben werden. Kontakt für Sachspenden: Tel..: (030) 690 33 535. Mehr Infos unter www.berliner-stadtmission.de
Bahnhofsmission Zoologischer GartenSpendenkonto: Verband der Deutschen Ev. Bahnhofsmission e. V. KD Bank. IBAN: DE56 3506 0190 0000 0212 10, BIC: GENODED1DKD. Mehr Infos unter www.bahnhofsmission.de
Gebewo Soziale DiensteSpendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft. IBAN: DE56 1002 0500 0003 3601 02, BIC: BFSWDE33BER. Mehr Informationen unter www.gebewo.de
Wie jedes Jahr wird es auch wieder Weihnachtsfeiern für Obdachlose geben: Die Stadtmission richtet ein Fest für 250 Bedürftige aus, mit Gänsebraten und Geschenken, die von Schulklassen vorbereitet werden – inklusive einer handgeschriebenen Weihnachtskarte an den unbekannten Obdachlosen. Bei der Bahnhofsmission am Zoo gibt es an Heiligabend über den Tag verteilt gleich drei Bescherungen mit Weihnachtsliedern. Und schon am 19. Dezember lädt Sänger Frank Zander, wie jedes Jahr, Bedürftige ins Hotel Estrel ein – zum Festschmaus mit Livemusik und prominenten Gästen. Die Karten dafür werden kostenlos in sozialen Einrichtungen verteilt. Doch die Angebote können nur bedingt etwas ausrichten: „Viele Obdachlose sind seelisch oder physisch angeschlagen, haben Drogen- oder Alkoholprobleme und sind für Hilfe gar nicht mehr ansprechbar“, sagt Wohlwend von der Stadtmission.
Deshalb müsse ein langfristiges Konzept her, das die Probleme an der Wurzel packt. Vor allem müsse in mehr Sozialarbeiter investiert werden. „Das würde mehr Sinn machen, als Obdachlosen-Camps zu räumen“, so Wohlwend. „Eine Räumung verlagert das Problem lediglich.“
Die Kältehilfe dürfe kein Ersatz für eine nicht funktionierende Wohnungslosenhilfe sein, sagt auch Caritas-Direktorin Ulrike Kotska. „In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Kältehilfeplätze verdreifacht.“ So könne es nicht weitergehen. „Wir brauchen Wohnungen statt Unterkünfte.“ Kotska fordert einen Gipfel gegen Wohnungslosigkeit, bei dem Bund, Länder und Kommunen gemeinsam nach Lösungen suchen. „Was fehlt, ist eine Infrastruktur, die Nachhaltigkeit ermöglicht“, fasst Gebewo-Geschäftsführer Robert Veltmann die Situation zusammen. „Und hier ist die Politik gefragt. Wir können den Obdachlosen helfen, über die Nacht zu kommen. Mehr aber nicht.“