: Die vierte Stufe gezündet
Wo andere Theater von Flucht und Migration erzählen, lässt das Göttinger „Boat People Projekt“ Betroffene mitarbeiten, und das seit 2009. Jetzt reflektiert es diese Arbeit wiederum in dem Stück „Die Probe“ – eine Abrechnung mit dem Stadttheaterfeudalismus
Von Jens Fischer
Da knallten unversöhnliche Weltbilder aufeinander, als Kopernikus, Galilei und Kepler wider die kirchlichen Autoritäten behaupteten, dass kein unbewegter Beweger das gesamte Universum um die Erde drehe, also um den Menschen. Sondern dass der blaue Planet nur einer von vielen ist, die aufgrund physikalischer Gesetze um die Sonne kreiseln. Bertolt Brecht nahm den Sieg der Wissenschaft gegen den Glauben als Folie, um den Umgang der Macht mit Wahrheit und Gerechtigkeit zu verhandeln: Heraus kam sein „Leben des Galilei“.
Dieses Schauspiel zu inszenieren, um ein ganz anderes Aufeinanderprallen zu thematisieren, ist nun die Idee eines Theaterintendanten namens Gerhard Grünjäger (Hendrik Massute) in „Die Probe – Galixeo in Deutschmania“. Die Komödie, die Ende September Premiere hatte, ist eine Auftragsproduktion des Boat People Projekts. Dieses freie Göttinger Theater beschäftigt sich schon seit 2009 mit den Migrationsbewegungen in und Richtung Europa – und es war Vorreiter darin, Geflüchtete auch künstlerisch zu integrieren, statt nur zum Thema zu machen.
Jetzt geht es einen Schritt weiter, indem es dieses Arbeit selbst reflektiert. Schon die Autoren spiegeln das Thema: Der aus Homs, Syrien, stammende Theatermacher Anis Hamdoun und die in Berlin beheimatete Journalistin Sophie Diesselhorst haben gemeinsam ein Stück geschrieben, Thema: die Zusammenarbeit von Wohlstandsdeutschen mit traumatisierten syrischen Künstlern. So wird die vierte Stufe des Umgangs des Theaters mit Geflüchteten gezündet – nach den vorherigen dreien: Auf sozialarbeiterischen Aktionismus folgten Stücke, in denen Geflüchtete als Chor ihre Forderungen artikulierten, Einzelschicksale ausbreiteten oder schon durch ihre Anwesenheit die „Refugees welcome“-Parolen zu beglaubigen hatten. Auf den Vorwurf hin, die Geflüchteten wären nur Dekor, würden instrumentalisiert, öffneten sich die Theater: Sie boten Praktika an, Lehrstellen, Fortbildung – und ließen Geflüchtete als selbstständige Akteure handeln.
Anis Hamdoun selbst inszenierte in Osnabrück sein Stück „The Trip“ und in Kiel seine „Odyssee“-Paraphrase. Jetzt, in Göttingen, wird auf der sprichwörtlichen Augenhöhe zusammengearbeitet und dramatisiert, woran es bisher scheiterte, wo es heute noch knarzt, quietscht und manchmal richtig scheppert. Herausgekommen ist eine geradezu wütende Abrechnung mit dem Stadttheaterfeudalismus: Der Intendant ist ein altlinker Patriarch, der, um den Migrations-Hype zu bedienen, für den „Galilei“ die syrische Regisseurin Sahar und ihren Landsmann Mustafa engagiert – und seine Lieblingsschauspielerin Astrid (Imme Beccard) dazu.
Schon die Pressekonferenz machen seine Chefallüren zur Farce: Grünjäger inszeniert sich als Gutmensch, ist dabei aber frei von Empathie oder auch nur Interesse an den Ängsten und Erfahrungen seiner maximal desillusionierten syrischen Gäste. Deren Redebeiträge werden abgewürgt, sie beide werden vorgeführt als Authentizitätsgeiseln einer politischen Korrektheit. Aber sie spielen auch mit, geben sich „froh und dankbar“, nehmen gezwungen-überfreundlich hin, dass ihnen Text und Arbeitsbedingungen zugewiesen werden, nicht etwa gemeinsam beschlossen.
Sowohl Ahmad Kiki (Mustafa) als auch Roula Thoubian (Sahar) haben Schauspiel an der Universität für darstellende Künste in Damaskus studiert, waren Teil der Opposition gegen Machthaber Assad, flohen – und sind nun erstmals auf einer deutschen Bühne zu sehen. Und die in Göttingen ist herrlich offen für gedankliches Schweifen und Spielmöglichkeiten aller Art: Ausstatterin Léa Dietrich hat einen Hubboden ins Zentrum gestellt, von der Decke hängen Gongs wie in asiatischen Tempeln, allerdings nicht aus Metall, sondern Plexiglas. Es geht also um Transparenz.
So auch Sahars Regieansatz für das Stück-im-Stück: Für sie spielt „Galilei“ in „Deutschmania“, einer „Diktatur der Wellness“ in buddhistischem Gewand. Statt eines katholischen Inquisitors richtet bei ihr ein „großer Vergeber“ über Galileo – will aber genauso rücksichtlos seine Vorstellung von richtig und falsch durchsetzen. Vom „syrischen Moment“ ist die Rede: Der große Vergeber ist auch der große Diktator, der sich mit allen Terror-Mitteln abweichender Meinungsträger entledigt.
Improvisiert wird die Szene vom stets charmant auf Anpassung getrimmten Mustafa und der genervten Astrid. Beide tasten Begrifflichkeiten ab: Wenn Astrid sich als „arm“ bezeichnet, hat sie noch ein vermietetes, von Oma geerbtes Häuschen in der Hinterhand, während für Mustafa Armut bedeutet, wirklich nichts mehr zu haben außer den 500 Euro für diesen Theaterjob. Also schleimt er sich beim Intendanten ein – und erkennt, „wohl auf den falschen Esel gesetzt zu haben“. Denn der Hausherr kommt ganz groß als Ekelpaket heraus: Immer wieder verkündet er Wahlergebnisse der AfD – in der Furcht, die Partei könnte an der Regierung beteiligt werden und dann sein Theater schließen. Nicht zuletzt also, um den eigenen Job zu retten, übernimmt er die „Galileo“-Regie, hoffend auf schützende Anerkennung durch das überregionale Feuilleton.
Letztlich ist es das, was alle Figuren aneinander vorbeireden lässt: Selbst wenn sie chorisch gemeinsam die Revolution herbeirufen, geht es allen doch nur um Entstrickung privater Nöte. Astrid will sich im Streit um ihr Kind gegen den Ex-Gatten durchsetzen, Sahar ihren Mann aus Syrien nachholen, Mustafa sucht Wohnung, Freundin und Arbeit. Erstmal aber steht er im Zentrum der neu inszenierten Gerichtsszene: Der Intendant steckt ihn ins Jackett von AfD-Gauland und erklärt: „Ein Syrer als Inquisitor als oberster Vertreter der rechtspopulistischen Partei“. Um „den Nationalismus noch zu verstärken, braucht es die Trump-Maske“, fährt er fort: „Wir haben jetzt nur die Obama-Maske, na ja, nehmen wir die als Stellvertreter“ – verkehrt herum aufgesetzt.
Viel mehr als solche Regietheater-Parodie holt Regisseurin Nina de la Chevallerie leider nicht aus all dem heraus: Grob gebastelte Szenen und reichlich Insider-Gags lassen die interkulturellen Konflikte kaum Funken schlagen. Immerhin sind auf der Bühne spaßig miteinander Lernende zu erleben. Eine neue Selbstverständlichkeit des Umgangs zum Auftakt der letzten Spielzeit im früheren „Institut für den wissenschaftlichen Film“ (IWF), das seit 2015 Flüchtlingen als Unterkunft dient und den Theaterleuten als Bühne. Mitte kommenden Jahres soll der Komplex abgerissen werden, für Wohnungen. De Chevallerie und die anderen „Boat People“ werden also selbst vertrieben – sind aber bester Hoffnung, woanders in Göttingen Asyl zu finden.
Weitere Aufführungen: 11. + 12. 11., 19.30 Uhr, Theater im ehemaligen IWF, Göttingen; 23. + 24. 11., „Durchstarter“-Festival, LOT Theater, Braunschweig; 9. + 10. 2., Theater im Pavillon, Hannover
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